La Ola einarmig

Ich kann mich nicht erinnern, wie in Peine die Busstopps aussehen. Es war dunkel und vielleicht war es auch Salzgitter. Die Winkekatzen machen La Ola einarmig zum Geisterspiel, noch laufen die Wetten auf das Jahr der Ratte in Metall. Die großen Elephanten trinken an der Wasserstelle. Manchmal aber spielt auch das alte Europa ein Lied mit Akkordeon auf den Transistoren, in der Pfanne sind dann die Puffer, immerhin. Das Licht im September, die Wolken und die Erinnerung an alle Sommer, an alle Geister.

Was im Essen ist

Heute bei einem anderen Bäcker 20 oder 30 Minuten in der Schlange gestanden, dabei Gedichte und Blogeinträge gelesen. An der großen Straße war das. Hinter mir ruft irgendwann jemand jemand anders an und fragt nach einem Rührei, er möchte eins haben oder schlägt vor, schon einmal eines zu essen, weil es länger dauere, da höre ich nicht so genau hin.

Auf dem Fahrrad die ganze bisherige Woche hindurch, auch schon in der letzten Woche wohl, Fragmente des Lieds von den Elchen im Kopf herummschwirren gehabt, ich kenne die Melodie noch, aber der Text ist Bruchstückhaft.

Schutzmaske auf, in die Bäckerei gehen, versuchen möglichst schnell zu sein, damit die anderen nicht noch länger warten müssen. Das obere Ende der Maske auf dem Nasenrücken, der neu hinzugekommene, schwankende, baumwollweiße Horizont, auch wenn es sich heute um Polyester handelt, am unteren Rand des Blickfeldes, die Lesebrille beschlägt, wenn sie gleichzeitig getragen wird, etwa im Supermarkt, um herauszufinden, was im Essen ist. Das alles ist nicht weiter schlimm.

Getarnt als nasser Hund,

 
wiederum regenbedingt, hatte ich mich am Samstag an einen noch unbekannten Ort bewegt auf dem scheppernden Rad und zwar, um ein Koncert der Formation WNU zu hören. In einem Hinterhof in einem sehr nahe an der Innenstadt gelegenen Industriegebiet, in dem naturgemäß die Umsätze in ihrem Wachstum mit dem der Nachtschattengewächse im Wettberwerb stehen, und wie sollte es auch anders sein. Der Regen, der seit Tagen ergiebig auf die Stadt herunterkam, hatte mich fast zur Umkehr bewogen, allerdings dauerte die Fahrt 1.) nur ungefähr 10 Minuten und 2.) hatte ich ⅓ der Musiker mein Kommen versprochen, und am Ende war es dann nicht weiter schlimm.

WNU sind Wilson Novitzki (Gitarre), Nils Schumacher (E-Bass) und Uli Hoffmann (Schlagzeug)

Denn da saß also ich als der nasse Hund und hörte zu, wie man sich schöne Songtitel ausdachte (»Nacht der Algorithmen«) und noch schönere Komplexitäten zusammenimprovisierte, sodass das Denken verwinkelter Zusammenhänge, zumindest für die Dauer des Koncerts, eingestellt werden konnte. Projektionsflächen aus Tönen zogen sich durch den Raum, der ansonsten voller Bilder war, die jedoch nicht alle zu hängen gekommen waren, sondern in an die Wand gelehnten Stapeln standen. Ein Plakat kündigte einen Maskenball direkt nach Beginn der Fastenzeit an. Es war natürlich viel lauter, als die Stücke auf der Soundcloud-Seite sich anhören. Zwischendurch, beim zuhören, tatsächlich für einige Momente aus der Zeit gefallen, was ja immer besonders schön ist. Häufig.

Hier noch ein kurzes Video der Formation von einem Auftritt in Berlin

Bleiches Grün

Kurzer Fußweg vom Kröpcke durch die Theaterstraße und zum Thielenplatz. Draußen vor einer Lokalität namens „Stadtmauer“ sitzen chinesische Messegäste oder Touristen. Einige Schritte weiter fällt mir ein, wie ich vor Jahrzehnten hier einmal im Sommer an der Straße gestanden und auf jemanden gewartet habe, vor einem Französischkurs. Mir fallen die Blätter der Platanen wieder ein, die rechts und links neben der Straße stehen, ihr ein wenig bleiches Grün dieses kurzen Augenblicks. Es sind die gleichen Bäume, die dort noch stehen und in denen die Dohlen und Krähen sind. Am Thielenplatz warte ich noch, an eine Litfaßsäule gelehnt, bis ich die Aufnahme beende. Menschen gehen und Autos fahren vorbei. Der 121er Bus. Über die Brücke zwischen Thielenplatz und Schauspielhaus fährt ein Metronom. Auf einem Plakat steht „Sushikino“.

Dann stehste da

Ständig verheddert sich Alles und dann stehste da. Im Hinterhof hingegen der schwere Geruch der Fliederblüte, später dann wird’s etwas brenzlig. An unverhoffter Stelle liegen 10 Schwedische Kronen herum, die letzten Peseten würdest Du dann aber wohl vergebens suchen, suchtest Du sie. Auf dem Schreibtisch noch Briefmarken, das Weitere wird sich finden. Die Pläne sind jetzt fast fertig geschmiedet. Wort reiht sich an Wort, zu allem Überfluss. Die frühe Wärme des Frühlings, der Tage in Zahnangelegenheiten unterwegs gewesen, etwa am schönen Marktplatz. Große Strahlung der Stadt auf dem Weg zur Arbeit, dann, alles greift ineinander und fügt sich ins rechte Licht hinein, ohne dabei weiter groß aufzufallen.

Andeutung und Zwischenahnung

Ein Exemplar der Tageszeitung »Dagblad van het Noorden«, genauer die Samstagsausgabe vom 22. Dezember .2018, die ich an diesem Tag in einer nördlichen Stadt kaufte, wärmte mir seitdem immer, wenn ich den Rucksack trug, vergessenerweise meinen Rücken. Sie befand sich im für Zeitungen oder tragbare Schreibmaschinen gedachten Fach meines Rucksacks und bewahrte zugleich die Einkäufe, etwa wie heute tiefgefrorene Erdbeeren sowie Blattspinat, vor durch die dicke Winterjacke doch heraussickernder Körperwärme.

Bei Fotos ist ja das Unscharfe, Unsichtbare, die Zwischenräume — besonders auch das Unvermögen, ein gutes Foto anzufertigen — das Wahre, Gute und Schöne. Das was man nicht sehen kann und das Langweilige, der Papierkorb, die Verkehrsampel, die tägliche Wiederkehr. Die Aufnahme vom Supermarkt-Parkplatz. Die verwackelten Bilder, die ich unterwegs mache, immer nur auf dem Weg zur Arbeit, immer in der Einflugschneise, noch eins noch eins und noch eins, aus dem fahrenden Bus, während die Regentropfen doch an der Fensterscheibe herunterlaufen und all das. Das Unscheinbare, Unsichtbare, nur eine Andeutung bleibende ist interessanter als ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen, ist schöner als die Nike von Samothrake. Andeutung und Zwischenahnung — und alles, was dazu gehört.

Heute auf der Lister Meile zwei rote Matjes gekauft in dem Fischladen.

Seidenfäden an den Handgelenken

Ich habe einen dieser Briefe an K. geschrieben, in welchem ich, zumindest in Teilen, die Systemfrage beantworten konnte. Vorläufig unentschieden, stabil kritisch und um Hesses Brillensammlung ging es außerdem. Das muss man sich mal vorstellen, wie die Leute immerzu. Es ist alles weiterhin zu warm, meiner Meinung nach, gut das mich niemand danach fragt. Gelber Umschlag.

 
Weiterhin (wenn ich mich nicht immerzu bremste, könnte ich immer und immerfort solche Brieftexte weiter schreiben, käme dann von einer weltbewegenden Sache zu der nächsten. alleine die Zeit ist gegen mich positioniert, wie immer, wie es eigentlich immerzu der Fall ist, gilt es, die Zeit aus den Fugen zu schreiben, in allem was ich tue, geht es nur darum, auch wenn dies als ein unmöglich zu gewinnendes Schlachten erscheinen mag. Es muss doch angegangen sein. Außerdem heute mit dem Schornsteinfeger telefoniert und einen Alternativtermin ergattert. Den Schornstein fegt der auch schon lange nicht mehr, er misst die Abgaswege, aber das sei nur nebenbei erwähnt)  prasseln die Ideen, besonders an Abenden mit dergestalt geschriebenen Briefen, nur so hernieder aus allen Ritzen der Unvernunft. Parallel und ergänzend dazu betreibe ich hier eine Zettelwirtschaft sondergleichen, bei gleichzeitiger, gegenläufiger Stapelverarbeitung. Was dann einen Zaunpfahlwink lang endlich geordnet war, wird in der nächsten Minute gleich wieder neu überdacht oder untertunnelt, je nach dem, ob Zange oder Nagel oder Hammer gerade wahrscheinlicher erschienen sind, am silbern gestreiften Horizont. Derweil tut der Teufel, was er immer tut (und woran er, am Ende, zugrunde gehen wird).

Vor dem ersten Knick stieg heute ein Mann in die Straßenbahn, der hatte eine Marionette dabei, die er behutsam aufrecht hielt, sie stand also neben seinem linken Fuß, während der ganzen Bahnfahrt und ich glaube, er versuchte zu verstecken, dass er in stillem Dialog mit seinem Weggefährten stand, es schien so, als wenn er versuchte, es der kleinen Figur möglichst recht und bequem zu machen. Der kleine Wegbegleiter war jedoch in schwarzer Kleidung angetan und trug zudem einen Zauberhut, fast so, als wäre er es, der in die Bahn eingestiegen wäre und hätte seinem großen, ungeschlachten Gefährten den ihm zugedachten Sitz bedeutet, nämlich auf einer der herunterklappbaren Bänke in dem Teil des Waggons, welcher für die Kinderwagen und Fahrräder reserviert ist. So dauerte es auch nur ein paar Stationen (und ich war bestimmt zwischendurch abgelenkt, bzw. ist es nicht besonders angemessen, jemanden in der Staßenbahn die ganze Zeit über zu beobachten, egal ob nun groß oder klein, mit oder ohne Seidenfäden an den Handgelenken) bis ich einen Menschen sah, mit schütterem, in verschiedenen Richtungen stehendem Haar, der allerdings nur wie eine Marionette zu gehen imstande war, die Füße fielen gewissermaßen von den nach oben gezogenen Kniegelenken direkt wieder hinunter auf den Boden. Da wir inzwischen im Tunnel waren, nutzte er die Gelegenheit, sich, im vor der schwarzen Tunnelwand spiegelnden Fensterglas betrachtend, die Haare zu richten, indem er sie noch mehr in Unordnung brachte, ganz genau so, wie ich es auch getan hätte, an seiner Stelle.

Kleine bescheuerte Texte, die Dich in Deiner Verzweiflung nicht weiter stören oder doch. Our love become a funeral pie.

Mit einem Wimpernschlag

Im Blog-Backend klicke ich auf aktualisieren gerade eben und lasse zwei Plugins sich auf die neueste Version bringen, währenddessen holle ich noch ein Bier aus der Küche. Im Radio läuft ein Johann-Strauß-Potpurrie allen Ernstes und auf der Fensterbank der Ventilator. Das Twitter bringt Bilder aus dem Goncourt-Blog unter dem Titel [Société du soleil], dort ist ein Gedanke notiert, den ich jedenfalls gut kenne und verstehe und mir das auch schon überlegt habe.

Dabei werden die Chancen jeden Tag aufs Neue ausgewürfelt und der Zufall ist nicht vergesslich, er hat nicht einmal ein Gedächtnis. Wäre oft gerne mehr Zufall.

Vor einigen Tagen im Drogeriemarkt eine Lesebrille gekauft. Und die Hitze. Es ist, als liefen wir durch eine Unwirklichkeit. Dennoch immer noch jeden Tag alles zu machen, was der Tag einem nun einmal abfordert. Alles flimmert leise vor sich hin, die Vögel sind ruhiger. Menschen erscheinen einem vor den Augen und verschwinden wieder, sie sagen ein paar Worte dazwischen, die ich garnicht hören kann. Kaum schreibe ich das mit den leisen Vögeln auf, spielt das Radio das dazu passende Lied als einen kitschigen Ersatz. Das ist jetzt der Sommer mit den Fledermäusen und ich muss nicht die Gedanken bis zum Ende aufschreiben, es ist ja doch bekannt, was gesagt werden soll.Ich kann sie alle hier nebeneinander auf den Bildschirm legen und dann ergibt sich alles. Gestern mit einigen wenigen Ehemaligen in einem Biergarten am Rande des Stadtwalds getroffen. Alle hatten Bierdeckel auf ihre Gläser gelegt, um die Wespen fernzuhalten. Die Wespen aber, sie sind ein wenig wie wir sind, zur Zeit, sie sind nicht sehr kampfeslustig und lassen sich fast schon mit einem Wimpernschlag vertreiben. Wir ließen sie an die leergetrunkene Coladose heran, die auf dem Tisch lag und an die zuckrigen, kleinen Pfützen, die von den Alsterwassern auf dem Holztisch gelangt waren. Es waren winzige, zitternde Wesen, die sich dem Zuckerwasser begierig, aber sehr vorsichtig, näherten und es dann aufsogen.

Die kleinen Kinder zwei Tische weiter, vielleicht vier Jahre oder fünf sind sie, fangen plötzlich an, Bella ciao zu singen, nur immer die zwei Worte, Bella ciao, Bella ciao, ciao ciao singen sie. Alles zukünftige Antifascista, vom Pop zum richtigen Leben im Falschen verführt und alle Kritiker wiederlegt. Wir werden sie bitter nötig haben.


Der Mann mit langen, fettigen Haaren saß an diesem Nachmittag an der Haltestelle Friedhof Lahe, auf seinem Schoß wohl einen Tabakbeutel, neben sich, rechts und links, Bierflasche und vielleicht eine oder zwei kleinere Schnapsflaschen stehend. Die Hände wie erstarrt in der Drehbewegung zur Zigarette, der Kopf ein wenig nach unten geneigt. Hoffentlich, dass er nur schläft, und nicht einen Hitzschlag erlitten hat.