Hannover, an der Haltestelle Vier Grenzen. Sieht heute genauso aus, ungefähr. Ich muss immer an Sophie Scholl denken. Sehen Sie es auch?
Kunst
Über das Erinnern (20200618_183345)
Aus den Briefen – 9 –
Schmetterling und Gürteltier
Seitdem die Verkehrsbetriebe ihren Sonderfahrplan fahren, fahre ich nicht mehr mit ihnen, sondern an den Tagen, an denen ich nicht zu Hause arbeite, mit dem Rad. Die Lektüre der Blogbeiträge, die die Zeiten so anspülen, ist dadurch sehr ins Stocken, da diese gerne in der Straßenbahn vollzogen wurde.
Die kreisende Erzählweise der Partikel, in etwa, flüstert mir ein, Du wirst diese Stadt spazieren, ohne sie zu berühren mit Deinen Händen, keinen Menschen berühren, keine Straßenbahn, keine Häuserwand, Dann kommen die Gespenster. Zu mir auch wieder, letzte Nacht. Aber keine Erinnerung daran. Letztes Jahr um diese Zeit hast Du noch gelebt, so mehr oder weniger, oder? Hast gehört, wie die Amseln verstummen, aber die Amseln , immerhin, sind wieder viele, und sie singen lauter als je a«±èôºj&§9µ›Y, und auch die jungen Stare. Muss immer wieder an die Band Banque Allemande und ihr Album „„Willst du Chinese sein musst du die ekligen Sachen essen„ denken. Gürteltier und Schmetterling.
Heute ein Bild gemalt auf dem Tisch im Schreibzimmer, vielleicht war es notwendig, um den Schreibtisch wieder aus der Wertschöpfungslogik der Telearbeit zu befreien. Das, jedenfalls, ist gelungen.
Eingeschneit im April
Getarnt als nasser Hund,
wiederum regenbedingt, hatte ich mich am Samstag an einen noch unbekannten Ort bewegt auf dem scheppernden Rad und zwar, um ein Koncert der Formation WNU zu hören. In einem Hinterhof in einem sehr nahe an der Innenstadt gelegenen Industriegebiet, in dem naturgemäß die Umsätze in ihrem Wachstum mit dem der Nachtschattengewächse im Wettberwerb stehen, und wie sollte es auch anders sein. Der Regen, der seit Tagen ergiebig auf die Stadt herunterkam, hatte mich fast zur Umkehr bewogen, allerdings dauerte die Fahrt 1.) nur ungefähr 10 Minuten und 2.) hatte ich ⅓ der Musiker mein Kommen versprochen, und am Ende war es dann nicht weiter schlimm.

WNU sind Wilson Novitzki (Gitarre), Nils Schumacher (E-Bass) und Uli Hoffmann (Schlagzeug)
Denn da saß also ich als der nasse Hund und hörte zu, wie man sich schöne Songtitel ausdachte (»Nacht der Algorithmen«) und noch schönere Komplexitäten zusammenimprovisierte, sodass das Denken verwinkelter Zusammenhänge, zumindest für die Dauer des Koncerts, eingestellt werden konnte. Projektionsflächen aus Tönen zogen sich durch den Raum, der ansonsten voller Bilder war, die jedoch nicht alle zu hängen gekommen waren, sondern in an die Wand gelehnten Stapeln standen. Ein Plakat kündigte einen Maskenball direkt nach Beginn der Fastenzeit an. Es war natürlich viel lauter, als die Stücke auf der Soundcloud-Seite sich anhören. Zwischendurch, beim zuhören, tatsächlich für einige Momente aus der Zeit gefallen, was ja immer besonders schön ist. Häufig.
Hier noch ein kurzes Video der Formation von einem Auftritt in Berlin
[Nur eine Busfahrt]
i thought i could organize freedom
Was einmal Holz gewesen
Also eigentlich hätte ich heute über die verschiedenen Arten von Schwindel schreiben können und wollen und vielleicht sogar sollen, aber daraus wird einmal nichts. Morgen morgen nur nicht Heute usw., also. Dann muss ich diese kleinen Kritzeleien herhalten, die ich auf den Rücken der Korrekturtexte austrage, auf der Arbeit, das ist so eine kleine Freiheit die keinem weh tut, außer vielleicht mir. Anstatt sie direkt in den weißen Plastikmülleimer, der für das Papier ist, zu tun, lege ich sie in eine der Taschen meiner Tasche und dann auch noch dazu Zuhause auf den Scanner, als wenn es noch nicht schlimm genug gewesen wäre. Aber so ist das halt, mit dem dicksten Biber der Stadt, alles was einmal Holz gewesen ist, kann noch genutzt werden zum Dammbau, zur Kanalisierung, zur Fütterung der Papiertiger.
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Während die Glocken schon den Abend einläuten
Als ich am Lister Platz aus der U-Bahn-Station komme, da sitzt jemand auf der Bank bei den Betonbögen, die das Überdach des Ausgangs begrenzen, und spielt auf der Gitarre, während die Glocken schon den Abend einläuten, neben ihm sitzen Leute und unterhalten sich. Ich gehe ein Stück die Meile hinunter zur Bank, im Weggehen höre ich noch die ersten Akkorde von „Wish You Where Here“. Vor dem Eingang kommt mir langsam ein Mensch mit einem Rollator entgegen, bevor ich durch die Tür gehe sehe ich noch, es ist einer von denen, die wir verkaufen. Da läuft die Diktierfunktion auf dem Handy schon nicht mehr. Als ich wieder herauskomme, sitzt er auf einer der Holzbänke vor dem Fischladen und raucht, eine selbstgedrehte, er hat einen weißen Bart und seine Frau steht in einem Anorak neben ihm und spricht mit ihm. Ich gehe ausnahmsweise durch die Passage und dann an der Edenstraße nach rechts, an der Ecke in dem Laden kaufe ich Brot. Heute ist der kurze Weg, den ich hier am Abend mache, wieder ein wenig so, als würde ich durch einen dieser schönen Kinofilme laufen und gleich könnte es vielleicht zu regnen anfangen. Gegenüber der Bushaltestelle preist eine in grellem Rot blinkende Laufschrift zuerst „Nudel gerichte“ und dann „Doner“ an. Ich nehme den Bus 121 in Richtung Haltenhoffstraße.