Innenohr

 

An der Röhre seines orangenen Bernstein-Monitors hatte er unten in der linken Ecke per Hand ein paar Pixel ausgeschaltet, Dort stand nun sein Name, eingemeißelt in das dunkle Glas, in Vakuum geschnitten. DEDROID. Das war er. Das war seine Versicherung, immer er selbst zu bleiben, auch wenn all die anderen es nicht sehen konnten. Er hatte ein kleines Programm geschrieben, das den Monitor mit Kästchen füllte wenn er eine halbe Stunde keine Taste drückte. Sie erschienen wie zufällig auf dem Bildschirm, wie die Fenster eines Hauses zu leuchten beginnen am Abend, still jedes für sich dem Rhythmus der Stadt folgend. Dann war das ganze Zimmer gefüllt mit dem Bernsteinschimmer der Mattscheibe und links unten in der Ecke, da wo sonst nie etwas stand, sein Name. Der ihn beschirmte, in der Nacht, der verbernsteinerten. Kupfer und Gold.

Verbunden: über metallene Wege mit der Welt da draußen, die ihn ängstigte, ihn verstörte, ihn zusammen Zucken ließ bevor er einschlief am Abend, im schimmernden Licht. Zusammenfallen, vor dem Einschlafen in der Nacht, dann. Dieser Sekundenschlag in dem die Welt verschwindet hinter dem Vorhang der Augenlieder, das kurze Aufbäumen des Selbst: das Bedürfen: Zu wissen, was hinter dem Glas geschieht, im luftleeren Raum: in dem sein Name stand: Die schwarze Materie, gespiegelt auf der glatten Oberfläche, hinter der die Lichter angehen, eines nach dem anderen. Er saß manchmal davor und versuchte zu erraten welches das nächste wäre, vergaß dann zu Essen, vergaß sich zu erinnern. Welches das nächste war.

Dort saß er, und vor ihm die Zeichen und über ihm sang der glühende Draht im Vakuum ein Lied von seinem nahen Ende. Das Sirren der kochenden Elektronen, die sich aneinander rieben, der Herzschlag der Materie. Das alles in diesen Mauern, das Lied aus der Leitung über den Feldern, dieses eine immerdauernde Lied, und er hörte dem zu, er hörte die Stimme, die kam drüben aus dem großen Fluss, wo sie das Wasser gestaut hatten, das ließ die Lichter angehen, die aus Bernstein, hier bei ihm im stillen Zimmer schwang das Getöse der Turbinen mit in dem kleinen Faden aus Metall, der sich bog unter der Last, das pulsierende Kupfer, der singende Draht. Das Getöse der Turbinen hier im entweichenden Vakuum.

Dann kam ein Gereusch. Dann riss der Faden ab, und Dunkel war. Die Uhr tickte, draußen fuhr ein Auto vorbei. Katzenaugen. Die Heizung, rauscht, ein gleichmäßiges Ausatmen. Dort geht eine Spülung, dort schreit ein Kind, dort prasselt fettiger Regen in der Pfanne. Von der Kneipe an der Ecke wird ein verschossener Elfmeter verkündet, während ein Hubschrauber, sanft brummend wie eine Hummel im Sommerwind, ein tiefgekühltes Herz durch den blauen Himmel fliegt. Dort ist einer gestorben, dort wird einer weiterleben. Ein zufriedenes Surren liegt über der Bucht. Das schnappen eines Feuerzeugs leuchtet kurz auf, dann der Geruch von Rauch vom Balkon dort oben, dieser rostige Duft von Feuerstein – dann der Atem der Balken, das tote Holz das knistert und knackt in den Mauern um ihn herum. Der Geruch knirschender Straßenbahnschienen. Das knistert und knackt, der Glühdraht ist jetzt ganz still, ganz leise klingelt er wenn man die Lampe bewegt, der Seismograph, die Nadel die immer nach Norden zeigt, mal mehr und mal weniger. In der Schwärze des Zimmers gehen bernsteinerne Lichter an erleuchtet vom großen Strom, vibrierende Elektronen in den Überlandleitungen durchs Indianerland. Eine Uhr tickt hier, eine andere dort, in der anderen Küche, über der seinen. Der alte Regulator schräg unten schlägt Big Ben, genauso träge und schief, schlurfend wie ein alter Butler. Die Holzwürmer, wie sie arbeiten, sie arbeiten am Niedergang des Hauses.

Er hatte begonnen Stimmen zu hören, ganz bewusst hatte er das für sich angenommen. Sie flüsterten nicht zu ihm, sie sprachen nicht mit ihm, und sie nannten ihn nicht bei seinem Namen. Ihr reden hatte keine Worte und keinen Sinn. Sie waren nur dort und er hörte ihnen zu, er gehörte ihnen zu und fühlte sich geborgen im Wispern der Dinge. Auch die Laute aus den umliegenden Wohnungen wurden gleichbedeutend mit dem Rauschen der Leitungen, dem sich ausdehnenden Holz. All die Liebesschreie und die Fernseher, das Fußballspielen und schlechte Träumen der Kinder meinte dasselbe für ihn wie der Regen auf dem Dach.

Irgendwann in diesen Tagen hatte er das erste Mikrophon aufgehängt, bald wurde jede Wand zum Ohr. Die kleinen Lautsprecher aus den Computern oder aus Radioweckern, die man auch als Empfänger nutzen konnte, Ohrhörer, Dictaphone und Mikrophone, an den Wänden, aufgeklebt mit Gaffertape, seine Wohnung ein Ohr und er selbst der Hörnerv, das Trommelfell das die Vibrationen der Welt aufnimmt. Sie hingen alle zusammen, er selbst wusste nicht wie, nur wenn in diesem Klangkörper etwas ausfiel, wenn die Drähte morsch wurden, dann wusste er wo. Die Fenster waren zugehängt, die Lampen erloschen, und oft hatte er eine schwarze Binde vor den Augen, um besser hören zu können, dem Haus zuhören zu können und seinem Leben, der Straße davor und dahinter und dem Himmel darüber dem blauen. Bilder gab es hier nicht mehr, blind bewegte er sich durch die Dunkelkammern, seinem eigenen Herzschlag folgend. Flimmernd.

Seine Fingerkuppen fingen an zu hören wie die der Tresorknacker, die ja am Drehknopf mit dem leise vibrierenden Stahl verschmolzen, gleichsam mit Sandpapier geglättet – fast abdruckslos. Seine Zehen erspürten noch die U-Bahn, drei Blocks weiter, sie wurde zur Uhr seiner Tage. Die Welt war nur noch Klang: Er musste den Regenschirm aufspannen wenn das Telefon schellte. Er lebt jetzt vollkommen ohne Licht. Nur die Bernsteinfenster auf dem Monitor, die bleiben. Die ganze Wohnung ein tönendes Universum, mit den Kopfhörern, den drahtlosen, die beständig übermitteln was von den Wänden hereinsickert in das ich, hereinsickert in die Fugen zwischen hier und jetzt.