Gestern und auch schon vorgestern den ganzen Tag über Mitschnitte von nächtlichen Radiosendungen gehört und dadurch einen latenten Jetlag bekommen, der die Tage vertreichen ließ wie warme Margarine auf Toast. Gestern Abend dann auch noch zu einer Improvisation gewesen im Lieblingskeller, der kein Keller mehr ist sondern ein zugestelltes Schaufenster. Hier haben gespielt: Dirk Marwedel, Andreas Brüning sowie Eberhard Meisel aka Naabtal Death. Die haben sich zusammenfinden müssen zu diesem Zweck, aber als das geschehen war nach 10 Minuten war es sehr schön (und ich werde hier nicht die Dummheit begehen und versuchen, das zu umschreiben): Wie sich die Töne aneinanderreihen und die merkwürdigen Geräusche im Raum entstehen, wie dann der Raum verschwindet und ein Klangkörper wird und alle in ihm mit, ob sie wollen oder nicht (und manche wollten nicht). Die Gasttherme hat auch mitgespielt und es sehr gut gemacht. Dann noch länger dort gesessen und auch geredet über allen mögliche Blödsinn und Kirchenräume und Frequenzen und Kompression und von alledem weiß ich ja nur sehr wenig. Heute aber auf dem Markt gewesen und es war ein frostiger Vormittag und die Sonne hat gefunkelt und mir gefiel das Gemüse gut und der Saxophonspieler hat getutet der an der Ecke steht. Die Müdigkeit war weg vom Fenster und ein sehr großes Küken verteilte Flyer gegen die Massentierhaltung. Bartnelken! Dann noch im Eckladen //Sonderposten und Copy-Shop// gewesen wo ich einen Umschlag und eine Briefmarke kaufte.
Month: Oktober 2012
random notes on reality (31, 32)
Von Bürokratie und Selbstbehauptung
Die Baustellen-Kräne der damals im entstehenden Docklands […] ein langsamer, langer Schwenk über das nebelige London und die Themse am Morgen. Das alles eine Vorhersage der Dinge, die da kommen würden.
Eine kleine Skizze zur Beziehung zweier Filme. Aki Kaurismäkis „I Hired a Contract Killer“ ist jedenfalls in Teilen ein Gegenentwurf zu Welles‘ Kafka-Verfilmung „Der Prozeß“, dieser labyrinthenen Welt der Dachböden und Besenkammern, in denen der mit seinem Schicksal kämpfende Protagonist Joseph K. in der schönen Schwarz-Weiß-Verfilmung von 1962 sich in enger werdenden Kreisen bewegt. Dieser fiktiven Existenz wird aus ihr unerklärlichen Gründen der Prozeß gemacht, durch welchen K. schließlich verurteilt wird. Der Held in Kaurismäkis Geschichte, Henri Boulanger, verurteilt sich zunächst selber, in dem er nach gescheiterten Selbsttötungsversuchen einen Killer auf sich ansetzt. Im weiteren Verlauf ist er in ähnlicher Weise auf der Flucht – vor sich selbst und seinem Vorurteil, welches er nach seiner plötzlichen Entlassung gefällt hatte – „Scheu, schmal, fast stumm und sehr anrührend, eine komische Kafka-Figur, ein Enkel Buster Keatons.“ („Der Spiegel“ vom 18.03.1991)
The film depicts the city (its eastern side, especially) on the threshold of change, lurching from post-industrial slumber towards the embrace of the global economy. […] The cranes […] clearly demonstrate that this is an urban environment which is in a state of flux or mutability; it is an unstable rather than a fixed environment. (A Place to Go? Exploring liminal space in Aki Kaurismäki’s I Hired a Contract Killer)
[Ich erinnere mich vage an meine erste Besichtigung der London Docklands, deren Baustelle die in den Himmel ragenden Kräne markieren – 1993 auf einer Fahrt mit dem Abiturkurs. Wir sind mit einem fahrerlosen, autopilotgesteuerten Zug dort hin gefahren. Auf dem Weg aber hat uns am meisten die an der Strecke gelegene Battersea Power Station beeindruckt, weil wir alle die Animals von Pink Floyd toll fanden. Die Verbindung dieser beiden Dinge war natürlich großartiger als Maggies Bankhochhäuser auf den ehemaligen Docks es je sein könnten. So war das.]
In beiden Filmen werden insbesondere Türen zur Symbolisierung von Übergängen und Abschlüssen gezeigt, in Kaurismäkis Film besonders zu Anfang sehr deutlich, im Vorspann bereits mit den verschlossenen Türen und vernagelten Fenster der City of London am Übergang zu den 90er Jahren, die zugleich die Abwesenheit von Leben anzeigen, im „Prozeß“ manchmal übergroß markiert, manchmal als Loch in der Wand auf K.s Weg durch den Steinirrgarten der Gerichtsbarkeit. Das Werk Kaurismäkis beginnt nach der Bestandsaufnahme der Leerstände am Beginn, in dem eine Tür von einem Büroboten mit einem Rollwagen aufgestoßen wird – so kommt der Film in Bewegung, so setzt die Handlung ein, durch das achtlose, beiläufige Aufstoßen dieser Tür im Verwaltungsgebäude des Wasserwerks.
Im „Prozeß“ werden 5 unterschiedliche Türen insgesamt 15 mal geöffnet oder geschlossen, ein Teppich wird angehoben, zwei Schubladen geöffnet, ein Vorhang einmal auf- und dann wieder zugezogen und ein Rollo versucht herunterzulassen. Der Film beginnt mit dem Blinzeln des erwachenden K., eine Bewegung, die einige Einstellungen danach in der sich zögerlich und langsam öffnenden Zimmertür ihre Entsprechung findet und in der Variation wiederholt wird.
Anfangsszene "Der Prozeß" — die Tür des Joseph K. wird langsam geöffnet – eine blinzelnde Tür des erwachenden, feindseeligen Raumes analog zum blinzelnden Auge des Protagonisten einige Einstellungen zuvor…
In der Verfilmung von Welles erschließt sich das Motiv der Tür in der einmontierten Türhüterlegende, die sowohl im Roman als auch im Film als intradiegetische Metareferenz markiert ist, was in der Verfilmung noch durch den Verweis auf das Medium Film unterstrichen wird, indem nämlich der Vortragende einen Diaprojektor zur Illustration seiner Ausführungen nutzt, auf welchem Zeichnungen zu diesem kurzen Text gezeigt werden – hier kann von einem eliptischen Verweis gesprochen werden, in welchem der Film über das Bild auf sich selbst und zurück auf die die Erzählung deutet.
Franz Kafka: Der Prozeß
Aber nicht nur mit dem Türenmotiv als Grenzmarkierung und Raumende zitiert der „Contract Killer“ den „Prozeß“ – welch Unterschied liegt aber zwischen dem unüberwindbaren Großraumbüro der Kreditanstalt und der heruntergekommenen Schreibstube des zu privatisierenden Wasserwerks. Im „Prozeß“ entzieht sich der Protagonist nur durch die Verweigerung der Selbsttötung der übermächtigen Maschinerie der Bürokratie, bei Kaurismäki hingegen wird die Demontage des Systems betrieben und an Stelle der Türhüterlegende steht Joe Strummers Outlaw-Ballade „Burning Lights“…
Joe Strummer
Kaurismäkis Story ist also ganz eigen und reflektiert an einigen Stellen, besonders am Anfang zitierend die filmische Welt von Orson Welles. Wie sich herausstellen wird ist tatsächlich das Scheitern und der folgende affektive Akt der Selbstbehauptung durch das Anheuern des eigenen Killers bereits zu Beginn des Films ein Befreiuungsschlag, der die Helden dieser wunderbaren dystopischen Utopie zu einer glücklicheren Existenz verhilft.
Kaurismäki lässt die Kamera stehen und wir schauen erstaunt auf die Schönheit der ruhigen Bilder. Entsprechend agieren auch die Schauspielerinnen und Schauspieler; Alles ist Blick und kleine Geste. Farben die abgetupft scheinen von Hitchcocks Filmen, die ruhige Kamera verstärkt den Eindruch des fotographischen, bildhaften.
Joseph K. hingegen bleibt bis zur Schlußszene, in welcher auch er sich endlich von dem ihm bedrohenden System emanzipiert indem er den Suizid verweigert, Angestellter der Institution, ganz verstohlener, schüchterner Blick und unbegreifende Hände, die es dennoch immer wieder versuchen, er bleibt dem Direktor-Stellvertreter subordiniert. Das ist die große Tragik dieses Entwurfs, die Unausweichlichkeit. Das ist die große Hoffnung des Henri B.: Das Trotzdem und gerade deswegen.
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Kaurismäki, Aki: „I Hired a Contract Killer“, Finnkino / Pandora Filmproduktion / Pyramide Films / Svenska Filminstitutet (SFI) / Villealfa Filmproduction Oy, 1990. (IMDb-Seite)
Welles, Orson: „The Trial“, Paris-Europa Productions / Hisa-Film GmbH / FI-C-IT, 1962, DVD-Neuauflage Studio Canal Plus 2008. (IMDb-Seite)
auch Kaiser Lampe genannt
Gestern dann die Kaiser Idell aus dem Bücherregal genommen und am Schreibtisch aufgeschraubt, denn sie machte keinen Funken Licht mehr. Der Schalter sieht noch ganz in der Ordnung aus, dennoch ein Foto gemacht um im Elektronalienladen vor dem Regal einen Vergleich zu haben für die Fälle, alle. Hocherfreut gewesen über die Ausgewogenheit diese Stücks Industriedesign, als die Lampe, mit dem umgedrehten Fuß auf der Platte liegend, Kopfüber am Schreibtisch hing und gedacht, wie schön im Gleichgewicht sich das doch befindet und man sieht es garnicht – so hingen sie damals bestimmt auch am Band, als sie durch die Fabrik fuhren und montiert wurden. Dann die Birne rausgeschraubt, die Fassung ist sehr porös und wird wohl doch ausgetauscht werden müssen in einer Weile, jedoch: Das ist in Ordnung, die war da jetzt auch schon 80 oder gar 90 Jahre drin. Habe dann die Kontakte zur Glühbirne mit dem Schraubendreher etwas hochgebogen und siehe da, es ward! Auch hier: die Fassung lässt sich, so sieht es aus, mit einer Schraube rausdrehen und dann eine neue einsetzen. Das werde ich beizeiten erledigen können, dann wird sie nochmal 100 Jahre alt werden.