Aus den Briefen – 14 –

 

Letzte Nacht habe ich geträumt, neben anderen Dingen, dass ich in einem Dönerladen einen Döner Vladimir gekauft hätte, Special Edition für V. Klitschko. In einem der ersten Träume, in denen die Pandemie eine Rolle spielte, gab es auch einen Döner-außer-Haus-Verkauf. Es sind die letzten kalten Wintermorgen, und auf dem Küchentisch stehen die ersten Tulpen vom Markt.

 

 

 

Miniaturen (2): in der Wildnis

Bild könnte enthalten Himmel Baum und im Freien

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Manchmal sehe ich Schafe oder Kühe auf dem Weg zur Arbeit. Vor zwei Wochen war der Strand am See ganz voller Gänse.

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Einmal sah ich, als ich an einer Straße stand, zwei Laster aneinander vorbei fahren. Eichhorn Spedition und Holzapfel Umzüge. Dann kam auch schon der Bus 133 Richtung Pappelwiese.

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Nelken

Am Feierabend, als ich nachhause fahre, berichtet einer seinem mitfahrenden Bekannten, er wäre morgens immer als erster im Büro, dass hätte den Vorteil, dass, wenn er einmal drei Minuten zu spät dort sei, es niemanden stören könne, weil ja außer ihm noch niemand dort wäre, so würde es keine Probleme geben.

Ansonsten hätten sie aber Gleitzeit.

Er trägt ein schwarzez T-Shirt, auf dem »Underground« steht. Im Bus riecht es nach Nelken. Das ist nicht viel, aber immerhin.

 

 

 

 

In den Tümpeln

Über Bienenstich nachgedacht, weil der Kollege M. gestern welchen in die Teeküche gestellt hat. Der Kuchen hat mir Angst gemacht, weil Worte einen großen Zauber auf mich ausgeübt haben, in der Kindheit (sie tun es ja heute noch) und ich den sehr leckeren Kuchen mit dem Honig und den Mandeln und dem Pudding, den es, so erinnere ich es jedenfalls, bei der Großmutter oft gab, nicht mit dem dazu in absolutem Gegensatz stehenden Schmerz in Verbindung bringen konnte, den ein Bienenstich wohl hervorrufen würde. Tatsächlich bin ich erst Jahre später einmal von einer Biene gestochen worden, was so unbedeutend war, dass ich mich nicht mehr an Ort und Zeit erinnern kann, aber daran, wie ich mich vor dem Wort gefürchtet habe, dass immer wieder als ein Name für Kuchen zu mir kam. Ich würde gerne einmal die Oma fragen, ob ich mich vielleicht auch geweigert habe, den Kuchen zu Essen, aber das geht leider nur noch im Traum und ich bezweifle, bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen wir uns sehen, daran zu denken. Vielleicht das jemand anders etwas weiß. Am Sonntag einmal nachfragen.

Verschiedene Schilfgräser in der letzen Zeit gesehen, es mag vielleicht auch schon zwei Wochen her sein. Zunächst sind mir, als ich morgens aus dem Busfenster blickte, die Schilfgräser vor einem eingeschössigen, orange angestrichenen Haus aufgefallen, exotische Grassorten mit sehr hohen Halmen, die so manchen, mich allerdings nicht, überragen dürften. Die Blütenstände trugen ein feines, weißes Grau. Am selben Morgen, nur ein paar hundert Meter weiter dann das Schilfgras, welches in der Bäckerei an der Station „Vier Grenzen“ als Sichtschutz, am Rücken der Sitzbänke, in kleinen Beeten steht. Solche Reetgräser standen an den Tümpeln in dem Neubaugebiet, allesamt vollgelaufene Baugruben, in dem ich einen Großteil meiner Kindheit verbrachte. Einen kleineren Teil davon auf Flößen oder leeren Öltanks auf den Tümpeln und einen noch kleineren Teil zumeist unfreiwillig sogar in den Tümpeln. Das Reetgras in der Bäckerei jedenfalls hatte die Blüten in dieser dunkelbraunen Farbe, ich fand besonders die fellige Beschaffenheit dieser Blüten immer sehr schön. Wenn man einen der Halme abbrach, was wir eigentlich nicht machen sollten, da die Gräser wohl unter Naturschutz standen, konnte man den Halm herumtragen und über die fellige Blüte streichen. Naturschutz hin oder her, es wurden letztendlich doch Häuser gebaut auf den Tümpeln. In der Bäckerei habe ich keinen der Halme abgebrochen und mitgenommen. Dann, am Tag, als die Verkehrsbetriebe gestreikt haben, bin ich einmal mit dem Rad zur Arbeit gefahren. Auf dem Rückweg Rückenwind und die Gräser am Kanal, hier ungefähr Höhe Hinrichsring.

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Der Weg mit dem Fahrrad zum Firmensitz in der Enflugschneise jedenfalls, dazu später vielleicht mehr. Ich hatte eigentlich vor, K. diese Strecke zu beschreiben, vielleicht kann ich dann einen Teil des Briefs auch hier einstellen.

So ist es jetzt wieder wie immer mit dem Schreiben, es muss nur einen Anfang geben, dazu ist der geringste Anlass gerade ausreichend und dann kommen die Worte aus den Fingern gefallen, als wenn es kein Morgen gäbe, was immerhin möglich ist.

und nun geh ich fernsehn..

Allerdings ein Schwarzweißfilm, die brauchen immer etwas länger und dann der Feiertag

Als ich gestern am Morgen unten in der U-Bahn-Station war, hörte ich, wie ein Junge den Vater fragte, warum sie eine Fahrkarte kaufen müssten. Der Vater antwortete, weil sie sonst Strafe zahlen müssten, wenn eine Kontrolle käme.

Dann ging den Tag über der große Sturm über das Land. Im Büro saß ich und sah die Wolken über den weiten Himmel dahinjagen und wie die Flugzeuge sich in der Einflugschneise gegen den Wind stemmten. Die hohen Moorgräser auf der noch zu bebauenden Gewerbegebietsfläche wogten hin und her mit den Böen und die gerade vor ein paar Jahren gepflanzten Bäume auf dem Firmengelände bogen sich, aber fielen nicht. Nach der Mittagspause dennoch der übliche Gang um das halbe Gebäude, an der Kantine hinaus auf die Terrasse, an den blauen Mülltonnen vorbei, auf deren Deckel Gewegplatten gelegt sind, der wilden Tiere wegen, die sonst die Kantinenreste wegplündern würden, ein Frettchen habe ich neulich schon gesehen vom Bürofenster aus, die werden sich aber alle noch zurückziehen, wenn einmal alles bebaut ist. In der Gemeinde lag die FDP bei der letzten Bundestagswahl bei 15,5%. Der faschistische Kandidat heißt Friedhof oder so ähnlich. Der macht’s nicht mehr lange.

Am Nachmittag meldete sich Frau L. aus der Küche auf ihrem Nachhauseweg bei Frau F. vom Empfang , woraufhin diese eine Rundmail schrieb, dass die Verkehrsbetriebe den Verkehr (nicht den Betrieb) aufgrund des Sturms eingestellt hätten, woraufhin bei Twitter mitverfolgt werden konnte, wie schnell die Einsatzkräfte die umgestürzten Bäume und abgerissenen Äste von den Schienen räumten. Auf dem oberen Abschnitt meiner Linie ließ eine Freigabe jedoch auf sich warten, Kollege M. hatte sich aber schon angeboten, mich mit dem Auto mit zurück in die Stadt zu nehmen.

Nach dem Sturm — 20171005_181851.jpg

An der Schlägerstraße stieg ich dann in U-Bahn. Kurz vor Endpunkt fragte ein Mädchen seine Mutter, warum die Scheiben der U-Bahn so zerkratzt wären. »Das waren Jugendliche« »Warum machen die das?« »weil ihnen langweilig ist«.

Am Abend beim Drogeriemarkt dann endlich die letzten Fotos abholen gekonnt. Der Film war bereits in der Kamera, als wir in den Urlaub flogen Anfang September. Allerdings ein Schwarzweißfilm, die brauchen immer etwas länger und dann der Feiertag. Das erste Foto war eines von Freund K., welches ich bei ihm im Garten aufgenommen hatte an einem Tag im Sommer. Dem Protokoll unserer fernschriftlichen Kommunikation zufolge könnte es am 3. Juni gewesen sein. Ein paar Fotos weiter eine Aufnahme von M., K.’s Schwester. das war am 26. Juni. Café am Bahnhof. Das ist so lange her alles.

Elfmeterschießen

Ein halbes Pfund Lakritze & auf Insta Bilder aus dem Neandertal. Ich bin der Fisch im Trüben, mein Fahrrad parkt an der Laterne da vorn. Die leuchtet ihr gelbes Licht auf die ölige Straße herab.

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Der letzte Dienstag war ein geklauter Dienstag, jedenfalls ab 12 Uhr ungefähr. Wir waren dann am Nachmittag wieder einmal im Hochhaus-Kino, welches jedoch nach wie vor im Parterre stattfindet. Nur statt dem Sammelsurium teurer Sessel hat man sich mittlerweile für die unbequemsten entschieden. Sind inzwischen ja routinierte Müßiggänger, wenn wir mit den Rentnern in die Nachmittags-Vorstellung gehen. Ein Kuss von Béatrice mit einer tollen Catherine Deneuve, die ich zuletzt in „Das brandneue Testament“ gesehen habe, an Karfreitag 2016, wobei entweder das КИНО auf Risiko spielte und den Film trotzdem (gerade deswegen) zeigte, oder aber die Moralzensurbehörde es versäumt hatte, den Film auf den vermaledeiten Feiertags-Index zu setzen. Ich wollte immer eine Kritik dazu schreiben, die aber bisher nicht zustande kam. Jedenfalls so ein toller Film ist es, dass er eigentlich am Karfreitag nicht gezeigt werden dürfte, ginge es nach der Obrigkeit und der Katholischen Kirche.

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„Ein Kuss von Béatrice“ ist auch ein toller Film, in dem Catherine Frot zeigt, dass sie der Deneuve jedenfalls durchaus den Whisky reichen kann. Gut, dass ich mich nicht davon irritieren ließ, dass die Elle den Film auch gut fand, wie der Trailer vermeldet. Das Schöne an dem Film jedenfalls ist, oder das Besondere, vielmehr, das einerseits der grundlegende Konflikt nicht weiter erklärt wird, denn es ist einfach viel zu lange her. Auch gut, dass das bittere Ende nicht gezeigt wird. Wir wissen alle, was passieren wird, aber es ist nicht notwendig, hier ins Detail zu gehen.

Danach weiter mit dem Rad durch die große Baustelle, die sich seit Neuestem vom Steintor bis zum Clevertor erstreckt und die Stadt so schön improvisiert erscheinen lässt, an dieser Stelle. Kabelstränge hängen, an Holzmasten befestigt, über die Fahrbahn. Die Frau im Da Piu erzählt, dass sie die Weinstöcke Anfang der 80er eingepflanzt hat. Die blonden Frauen neben uns am Tisch zeigen Fotos ihrer vergangenen und zukünftigen Hochzeitskleider auf ihren Smartphones. Dann holt die eine einen Beutel Tabak raus und dreht sich eine Zigarette und ich bin überrascht, wie schnell ich mir ein Urteil erlaube und wie wenig es braucht, dies wieder in Frage zu stellen.

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Auch am Donnerstag vibriert die Luft vor Ambivalenzen. Seit 12 Uhr hängt das Gewitter im unentschiedenen Himmel und wartet auf das Elfmeterschießen. Später Gesprächstermin am frühen Abend, danach treffe ich mich mit R. und F. im Biergarten an der Yachtschule. Drinnen geschlossene Gesellschaft, stellenweise Applaus für irgendwas auf der Außenterrasse. Wir sitzen unter einen Schirm, der aber, wie sich bald herausstellt, keinen Schutz gegen wolkenbruchartigen Regen mit eher horizontalem Verlauf bietet. Kalt ist es nicht, aber mein Hemd ist bald vollkommen durchnässt. Als ich einmal auf die Toilette, die sich der Biergarten mit der Restauration teilt, gehe, halte ich Herbert Schmalstieg, dem ewigen Bürgermeister, die Tür auf, der mir von drinnen entgegenkommt. Aber wir trinken trotz Unwetter noch die Biere aus und laufen dann den Altenbeckener Damm hoch zur Haltestelle, als das schlimmste Unwetter vorüber ist und versuchen nicht in die matschigen Pfützen zu treten. R. zählt weiterhin – 21 – 22 – 23 – – wie weit das Zentrum des Unwetters von uns entfernt ist.

Den Gürtel endlich enger schnallen

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Ich war auf der Suche nach kleinen Nägeln, mit denen ich kleine Bilderrahmen, die es für ungefähr drei Euros im Drogeriemarkt gibt, an die Wand hängen kann, denn ich habe festgestellt das es mir gefällt, Dinge in Bilderrahmen an der Wand hängen zu haben anstatt nur so mit der Nadel an die Tapete gepinnt. Ich hatte also schon den Werkzeugkasten durchsucht und den Leinenbeutel, in dem die Sachen zur Radreperatur sind und in verschiedene Schubladen hatte ich auch schon geschaut. Eine der letzten Möglichkeiten war die kleine Steingutschale auf dem Schreibtisch, in der allerlei Wichtiges für die Ewigkeit aufbewahrt wird (ein Türspion, Manschettenknöpfe, ein Fahrradknochen usw.). Auch hier fand ich keine Nägel, dafür aber eine 32MB große Speicherkarte, die in mein Nokia 6230i passt und darauf diese Fotos, allerdings nicht aus der Vorgeschichte der Smartphones, sondern aus dem Jahr 2015. Auch ein Video.

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Das war einer der Abende im Atelier in Linden, an denen wir zusammensitzen, Bier trinken und uns unterhalten. Dabei hören wir Musik, häufig von Kassetten. In letzter Zeit hatte ich oft den Digitalrecorder dabei und wir haben die Demotapes von EX+ digitalisiert. Manchmal reden wir auch ein wenig über Kunst.

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Ich mag die unfertige, nichtperfekte Ästhetik dieser Fotos wirklich sehr. Auch das ist so lange schon vorbei, aber, ich schrieb es bereits irgendwohin und werde es wahrscheinlich auch noch einmal schreiben, es war vorbei, bevor wir auch nur annähernd alles damit ausprobiert hatten, was möglich ist.

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In einer der Schubladen hatte ich am Morgen das Werkzeug gefunden, eine Art Zange, mit der ich ein weiteres Loch in den Gürtel stanzen konnte, anstatt etwa einen Nagel zu benutzen (in dieser größe wären welche vorhanden) und dann ein schlimm ausgeleiertes Gürtelloch hinter all den schön sauber gestanzten, aber für mich nicht gut nutzbaren, Gürtellöchern zu haben. Nun kann ich also den Gürtel endlich enger schnallen, wie es von allerhöchster Stelle verkündet & gefordert wird.

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