Wenn die Rüben kochen

Jetzt ist es kälter und die dunkle Zeit ist da, also doch wieder gekommen. Zwei und noch viel mehr südlichere Tage waren da, ein fortgesetzter, schmerzlich hinausgezögerter Abschied vom großen Sommer, der das Land ausgetrocknet hat, der mich durch einige Tage eigentlich nur noch taumeln ließ, mit dem Hut aus Pappe auf dem Kopf und den Atem fast ganz angehalten. Wir waren Ende September/Anfang Oktober noch im Süden für einige Tage, in einer Stadt, die den Herbstvogel Krähe im Wappen führt, auch hier bereits kam die ungewöhnliche Hitze der Tage mit einem an jedem Abend wieder überraschend frühen Sonnenuntergang zusammen und dann, wieder hier, noch ein Tag, an dem wir den Sommer noch nicht gänzlich verabschieden konnten und noch eine Woche und noch, und noch, und noch. Als wenn es das letzte Mal Sommer sein könnte und als wenn er sich weigert, zu gehen, aber die Traurigkeit kommt doch und all das. Ich stell es mir vor, wie es wäre, zu wissen, dass es der letzte Sommer ist und ich meine, ich habe dieses Wissen auch schon in den Augen eines alten Menschen gesehen, auf der Bank sitzend, in der Oktobersonne, schon mit einer Strickjacke am frühen Nachmittag. Das wie diese Tage riechen, wie das Riechen immer stärker wird im Herbst, mit jedem Tag, an dem es am Abend etwas kühler wird und wenn die Rüben kochen und die Pilze wachsen im nahen Stadtwald und auf dem fallenden Laub der Tau vergeht. Wie dann alles zu einer Erinnerung zusammenfällt.

Einmal hatte ich die Idee, dass all diese Gerüche, die an etwas Erinnern, das wir entweder erlebt haben oder gerne erlebt hätten, auch an die Sehnsüchte der elektrischen Sommer der früheren Jahre, dass all das mit jedem Jahr mehr wird und dann, irgendwann, das arme Herz all das nicht mehr ertragen kann und aufhört, sich zu Erinnern, dass gleich der nächste Schlag kommen müsste. Aber das war nur eine Idee, die ich nicht sehr erfolgreich verbannen konnte und die jetzt immer wieder erscheint, sich an manchen Abenden auf die Nasenspitze hockt und davon nicht mehr abzubringen ist, wie man auch mit dem Kopf schütteln mag.

Jetzt sind die Gänse in der Luft, ich höre sie immer zuerst und dann sehe ich sie an jedem Tag im Himmel. Vor einer Woche waren wir an der Elbe in Hitzacker. Auch der große Fluss ist vom Sommer ganz leergetrunken, der ganze Himmel war gefüllt mit Gänserufen, große Verbünde kamen und flogen wieder, auf dem niedrigen Elbwasser, schwimmen sie zu Vielen. Ein sehr schöner Tag war das.

Kein Haus ist gebaut, genug Steine liegen aber auf dem Weg, genau genommen. Sie als erster zu werfen, oder anderweitig zu verwenden. Oft erinnere ich auch Augenblicke, wenn die Luft an einem Morgen etwa nach gerösteten Erdnüssen duftet, die es nie gab, was sie aber nicht weniger wahr sein lässt, vielleicht sogar im Gegenteil. Stifte stehen im Köcher bereit, dass alles aufzuschreiben, in den dunklen Nächten und auf der Mittelwelle senden auch noch ein paar Stationen, immerhin.

Ich hatte die Vermutung, besser: Befürchtung, dass die Sofortbild-Kamera, die ich wirklich sehr gerne habe, durch

einen kleinen Umfall, den ich irgendwann im Frühjahr des Jahres ertrug, einen Schaden bekommen haben könnte, der – im Gegensatz zu dem Schaden, den ich selber im Zuge dieser Angelegenheit mit mir nahm – nicht durch ein wenig Keramik und UV-Licht aus der Welt zu schaffen wäre. Obschon sie auf der einen von vier Einstellungen immer noch Fotos mit Sichtbarkeit ausfertigte, gab es Bilder, die bei mir Zweifel hatten aufkommen lassen. Jedoch: Neulich nahm ich allen Mut, der dafür notwendig war, zusammen und fertigte testweise auf jeder Einstellung ein Foto an, mit einem Resultat und diese Fotos sind hier, in einer Übertragung ins digitale Format, nun sichtbar.

Eine weitere Erkenntnis, die ich dabei hatte: Der (übrigens mechanische) Zähler zählt nach unten und zeigt die verbleibenden Bilder an. Ich schreibe das hier auf, um es mir zu merken. Es sind jetzt noch drei schwarzweiße Fotografien verfügbar. Ich denke schon eine ganze Weile, also bereits mehrere Tage, darüber nach, wie ich diese drei Bilder so fotografieren kann, dass es gut ist. Es hätte dazu ein paar Gelegenheiten gegeben, jedoch hatte ich dann am Morgen den Fotoapparat nicht in den Rucksack gelegt, oder aber ich hatte den Fotoapparat dabei, jedoch keine Zeit, für das Motiv aus der Bahn auszusteigen oder es gab sogar garkein Motiv, denn das man jeden Tag dieselbe die gleiche Bahnstrecke entlangfährt, bedeutet ja noch lange nicht, dass an jedem Tag dieselben Bilder ebd. gemacht werden könnten: eher im Gegenteil: Ein Bild, dass an dem einen Tag aufgenommen werden könnte, kann am darauffolgenden (und sogar für alle Ewigkeit) bereits verloren sein (das ist tatsächlich immer der Fall) und handelte es sich nur um die Fotografie eines Baumes oder eines Papierkorbs am Wegesrand.#

Groovy kind ov lov.