Auf dem Markt in der auseinandergezogenen Schlange kommt ein Mann mit uns ins Gespräch. Er erzählt etwa, dass er von FFP2-Masken Kopfschmerzen bekommen hat: sagt: mit denen bekommt man Ohren wie Kafka, wegen der Gummibänder. Ganz Hannover hat Kafka-Ohren mit diesen Masken!.
Franz Kafka
//Diese Tür war nur für Dich bestimmt//
Kurz nur ein paar Worte, wie sie eben aus den Fingern fallen und liegenbleiben, eng beieinander, kalt und Nacht da draußen. So vieles bleibt jetzt wieder liegen, ich nehme es hin als wenn es in Ordnung wäre. Heute in der Firma, als der Kollege das 22. Türchen vom Abteilungsadventskalender öffnete, Kafka zitiert, es hat keiner verstanden. Das Schöne ist ja aber weiterhin das Staunen über diesen ganz anderen Teil der Stadt und wie er ganz für sich halt auch dort steht. Feste Vornahme, nächstes Jahr ein wenig durch die Straßen zu streunern ebendort, man kommt ja am Kanal entlang fahrend auch sehr gut mit dem Fahrrad dort hin, neue Sachlichkeit durch und dann die Podbi hoch zu den Backsteinen. Der kürzeste Tag, den haben wir nun auch wieder hiner uns gebracht, es war garnicht schwer. Wo die ganzen Gedanken immer her kommen und die Träume. Heute in den Morgenstunden hat sich der Kopf ein neues Bild ausgedacht, um die eigene Unzulänglichkeit, das eigene Nicht-genug-sein und so weiter wiederum nicht sehr subtil darzustellen, nämlich indem ich etwas transportieren musste, wichtige Dinge, mit Sicherheit, und dann meiner Ledertasche der Boden gerissen war, so dass das Transportgut also beständig hinauszufallen drohte. während ein auch mitgeführter Beutel sich auch als ähnlich lückenhaft erwies. Das Unterbewusste gebiert sich, als wäre ich ein Faltspinsel, was mich langweilt und ich habe auch keine Lust, mir über diese offenbaren Ängste weiterhin Gedanken zu machen, denn es ist ja eigentlich alles gut, bis auf das Übliche halt, aber das Übliche ist halt auch nur das Übliche und dürfte mittlerweile auch altbekannt sein.
Mein rechtes Bein ist eingeschlafen. K., mit dem ich, was ebenfalls ganz toll ist, einen regen Briefwechsel habe, oder auch Postkarten, jedenfalls geschriebene Sachen mit Briefmarken, bemerkte in seiner letzen Karte, die mich vor wenigen Tagen erreichte, erwähnte eine winterliche Melancholie, die aus den beiden Briefen spräche und ich solle mir eine neue Sonne suchen, scheine sie zu wenig. Es ist nicht schlimm, das er mich vielleicht ein wenig missverstanden hat. Die Traurigkeit der dunklen Monate, das Aufbrechen und zurückkehren nachhause in der Dunkelheit, die schwindelnde Müdigkeit am Morgen, die trockene Hitze der Heizung im Bus, das alles ist ja genau richtig so und es soll doch auch garnicht anders sein. Nicht auszudenken, müsste ich jetzt in die Südsee aufbrechen oder einen ähnlichen Quatsch veranstalten. Dieses Jahr ist nun bald zuende. Es gibt keine Neuauflage der Stockholmer Allee, mangels Gelegenheit. Es war ein Jahr voller kleiner Gegenbeweise, in dem ich an sehr vielen Tagen etwas gemacht habe, wovor ich mich am Tage davor noch fürchtete. Der Panzer ist dicker geworden und der Bart dichter und grauer. Ich stelle irdene Gefäße auf dem Boden des Zimmers auf und versammle dort die letzten Gedanken. Ein Jahr, in dem sich noch einmal gezeigt hat, das ich bei weitem nicht der einzige bin, der ein dunkles Geheimnis zwischen den verkümmerten Flügeln mit sich herumträgt, und das das eigene Dunkel nicht unbedingt das schwärzeste unter der Sonne sein muss, bei weitem nicht.
Austers Fergusson aus 4 3 2 1 liest Kafkas »Verwandlung« (Es muss wohl die Übersetzung von Willa und Edwin Muir sein), eine Geschichte, die ich mir auch noch einmal und noch einmal durchgelesen habe. Überhaupt halte ich K. für hochaktuell. Dieses Jahr wohl zum zweiten Mal „Das Schloß“ durchgelesen, zum ersten Mal in der „kritischen Ausgabe“. Das Buch steht, noch ins Packpapier gebunden, in dem kleinen Regal und darin sind kleine, etwas DIN A6 große, Zettel, auf denen ich verschiedenstes zu dieser unglaublichen Geschichte notiert habe, die wie ein sehr sehr langer, von Slapstick-Filmen inspirierter Traum anmutet, jedoch angefüllt mit seitenlangen Diamonologen voller Misstrauen und Schuldzuweisung. Ein gutes Lektorat hätte dem Buch zusätzlich einiges mehr tun können, aber auch so ist es eine hervorragende Parabell zur Systemtheorie, zu Identität und Selbst-Behauptung und darüber, wie Faschismus passiert, so wie es heute immer noch ist. Ich alleine, jedenfalls, kann die Welt nicht retten und habe da auch keine Lust zu.
Ich schreibe hier nicht alles auf, was über das Jahr liegenbleiben musste, das ist vergeben, vergessen und verloren. Der Kopf ist nur zum bersten angefüllt mit all diesen Eindrücken, mit neuen Eindrücken an jedem Tag und es ist eine große Freude, zugleich aber auch eine große Last, und wieder die Traurigkeit dabei.
Auskristalisierungen
Die Formulare der Steuererklärung gehören zu den reinsten Auskristalisierungen des Staates, die wir kennen. Sie sind die verschlossenen Türen eines geheimen Wesens, dass sich hermetisch gegen seine Ernährer abzugrenzen sucht. Es ist nicht alles schlecht, aber dass diese Papiere in einer Geheimsprache verfasst sind, ist faul und stinkt. Worte wie Spendenvortrag, Verlustrücktrag, Opfergrenzenberechnung sind spitze Stacheln des Drahtes, der um das Gebilde aus Obrigkeitshörigkeit und Bürokratie geschlungen ist.
Die Bierwerbung im Fernsehen, in der zwei gleich aussehende Gläser mit gezapftem Bier nebeneinander stehen und als abschließende Geste eines der Gläser mit einer sicheren, akurat ausgeführten Bewegung so positioniert wird, dass schlussendlich beide Embleme genau auf 90 Grad ausgerichtet sind und dem Zuschauer in einer perfekten Symetrie präsentiert werden.
Als ich am letzten Donnerstag eine vergessene Regenjacke in die Nordstadt fuhr: Die Menschen im warmen Regen wurden plötzlich zu Gestalten ihrer eigenen Poesie, auf Fahrrädern, oder zu Fuß, im weißen T-Shirt oder in der Regenjacke, mit Regenschirm oder auch ohne, manche mit ganz nassem Haar. Vielleicht wie in einem Film, in dem es auch um Mairegen ginge.
Verschollene Freunde und amerikanische Präsidenten
Eine längere Strecke mit einer der neuen Bahnen gefahren, am gestrigen Tag. Lektüre: „Das Schloß“, Kafka, traumhaftes Erzählen, unklare Verhältnisse, aus der Situation heraus entsteht die Handlung, Bier und Wirtshäuser und Schnee. Auch hier hat der Wetterbericht für heute nacht Schneefall angekündigt.
Pfarrstraße Stammestraße, wo ich lange Zeit nicht gewesen bin und auch garnicht mehr weiß, warum ich das letzte Mal dort war. Wenige Häuserreihen vor dem Deich zur Leinemasch. An einem Haus ein Schild, das den Wasserstand 1946 anzeigt, knapp auf Kopfhöhe. Ein paar verregnete Fotos gemacht, die hier nicht gezeigt werden. Eine schöne, bescheidene Gegend die sich nichts weiter einbildet. Kurz bevor die Stammestraße in den alten Dorfkern mündet, muss ich dann abbiegen zu K. und L.
Wolkenhimmel im Küchenfenster, immer wieder Regen. Katzen und Spinnen, die Spinnen haben keinen Hunger, die Katzen haben immer Hunger. Die Katzen essen auch das Spinnenfutter, aber die Spinnen essen kein Katzenfutter. Reden über all die Umstände, die privaten und die weltpolitischen. Verschollene Freunde und amerikanische Präsidenten. Haken in der Decke und wie ich jetzt endlich das alles einmal zu erledigen beginnen kann. Was als nächstes kommt, Käsebrötchen Kartoffeln mit Spinat und Spiegelei. K. „Rauten001“ nachträglich zum Geburtstag geschenkt.
Später hören wir Radio Niedersachsen im Küchenradio, noch später dann Albert Ayler, wie er so etwas wie „Oh Tannenbaum“ spielt auf Free Jazz. K. erzählt, er wurde 34-jährig tot aus dem East River gefischt, die genauen Umstände wären nicht weiter ermittelt worden, er war ja nur ein schwarzer, drogensüchtiger Jazzmusiker. Wunderschöne Musik. Dann noch The Fugs: Nothing. Jetzt ist es auch schon dunkel.
Kafka war nie in Amerika
„Zum Beispiel Banken. Und wenn die groß geworden sind, so groß, dass sie ein Land überschatten, dann heißt das Land Amerika, und nun wollen wir einmal ein Amerika-Buch begucken, das eigentlich gar keines ist und doch eines ist. Es ist von jenem großen Prosaiker Franz Kafka, auf den immer wieder hinzuweisen das schönste Verdienst Max Brods ist – das Buch heißt ›Amerika‹ (und ist bei Kurt Wolff in München erschienen). Das Werk stammt aus der Zeit vor dem Kriege, Brod sagt in seinem Nachwort, dass es schon viele zarte Lichter des Chaplinschen Humors enthält. Es ist etwas ganz und gar Wunderbares, an innerer Musik und dem Pianissimo der Töne nur noch mit Hamsun zu vergleichen.
(Kurt Tucholsky: Auf dem Nachttisch, 1929)
»Es ist die Photographie meiner Eltern«, sagte Karl. »Nein, ich muß mit den Leuten selbst sprechen.« Die Oberköchin sagte nichts weiter und gab telephonisch in die Portierloge den entsprechenden Befehl, wobei sie 536 als Zimmernummer Karls nannte.
Durch die Verwendung „amerikanischer“ und „moderner“ Motive wie Automobile, Telefone, Wolkenkratzer oder auch die Photographie als Medium der Erinnerung erschuf Kafka aus Fotos, Träumen und vermutlich Filmaufnahmen eine große, amerikanische Welt, ein Theater mit den Ausmaßen eines Stadions. Selbstverständliche nutzte er Traumbilder, wie hier am Beispiel der Einfahrt in den Hafen von New York zu sehen ist:
Vor den drei Fenstern des Zimmers sah er die Wellen des Meeres, und bei Betrachtung ihrer fröhlichen Bewegung schlug ihm das Herz, als hätte er nicht fünf lange Tage das Meer ununterbrochen gesehen. Große Schiffe kreuzten gegenseitig ihre Wege und gaben dem Wellengang nur so weit nach, als es ihre Schwere erlaubte. Wenn man die Augen klein machte, schienen diese Schiffe vor lauter Schwere zu schwanken. Auf ihren Masten trugen sie schmale, aber lange Flaggen, die zwar durch die Fahrt gestrafft wurden, trotzdem aber noch hin und her zappelten. Wahrscheinlich von Kriegsschiffen her erklangen Salutschüsse, die Kanonenrohre eines solchen nicht allzuweit vorüberfahrenden Schiffes, strahlend mit dem Reflex ihres Stahlmantels, waren wie gehätschelt von der sicheren, glatten und doch nicht waagrechten Fahrt. Die kleinen Schiffchen und Boote konnte man, wenigstens von der Tür aus, nur in der Ferne beobachten, wie sie in Mengen in die Öffnungen zwischen den großen Schiffen einliefen. Hinter alledem aber stand New York und sah Karl mit hunderttausend Fenstern seiner Wolkenkratzer an. Ja, in diesem Zimmer wußte man, wo man war.
Ich wußte zuerst nicht eigentlich, wo ich war, erst als ich mich einmal zufällig erhob, sah ich links von mir und rechts hinter mir das weite, klar umschriebene Meer, mit vielen reihenweise aufgestellten, fest verankerten Kriegsschiffen. Rechts sah man New York, wir waren im Hafen von New York. Der Himmel war grau, aber gleichmäßig hell. Ich drehte mich, frei der Luft von allen Seiten ausgesetzt, auf meinem Platze hin und her, um alles sehn zu können. Gegen New York zu ging der Blick ein wenig in die Tiefe, gegen das Meer zu ging er empor. Nun bemerkte ich auch, daß das Wasser neben uns hohe Wellen schlug und ein ungeheuer fremdländischer Verkehr sich auf ihm abwickelte. In Erinnerung ist mir nur, daß statt unserer Flöße lange Stämme zu einem riesigen runden Bündel zusammengeschnürt waren, das in der Fahrt immer wieder mit der Schnittfläche je nach der Höhe der Wellen mehr oder weniger auftauchte und dabei auch noch der Länge nach sich in dem Wasser wälzte.
*** Aufzug und Treppenhaus in der Literatur.
„Als ich an der Haltestelle Russel Sqare zwischen Aufzug und Treppe die Treppe wählte. Am Ende einer langen Wendeltreppe empfahl eine Lautsprecherdurchsage, den Aufzug zu nehmen, da das Treppenhaus einem 15-stöckigen Gebäude entsprach.“
(the butler, London VI)
„Ich wollte eigentlich zum Treppenaufgang und nachhause gehen, stattdessen blieb ich stehen und wartete auf sie. Ich sagte, da sei ich wieder, ich könnte ihr wieder mit dem Koffer helfen. Sie lachte, bedankte sich und sagte, aber hier gibt es ja den Aufzug. Ich sagte: das stimmt. Dann vertschüßten wir uns wieder. Im Abschied warf sie mir die Frage hinterher: bist du Musiker? Ich dachte kurz nach uns sagte: nein. Wir blieben einen Moment lang stillstehen und als der Moment vorbei war, ging sie zum Aufzug und ich zur Treppe.“
(mequito, ohne Titel)
„Dann liefen sie fast, Karl mit ihrer Tasche in der Hand, zur nächsten Station der Untergrundbahn, die Fahrt verging im Nu, als werde der Zug ohne jeden Widerstand nur hingerissen, schon waren sie ihm entstiegen, klapperten, statt auf den Aufzug zu warten, der ihnen zu langsam war, die Stufen hinauf, die großen Plätze, von denen sternförmig die Straßen auseinanderflogen, erschienen und brachten ein Getümmel in den von allen Seiten geradlinig strömenden Verkehr, aber Karl und Therese eilten eng beisammen in die verschiedenen Büros, Waschanstalten, Lagerhäuser und Geschäfte, in denen telephonisch nicht leicht zu besorgende, im übrigen nicht besonders verantwortliche Bestellungen oder Beschwerden auszurichten waren.“
(Franz Kafka, „Der Verschollene“, Seite 73)
Von Bürokratie und Selbstbehauptung
Die Baustellen-Kräne der damals im entstehenden Docklands […] ein langsamer, langer Schwenk über das nebelige London und die Themse am Morgen. Das alles eine Vorhersage der Dinge, die da kommen würden.
Eine kleine Skizze zur Beziehung zweier Filme. Aki Kaurismäkis „I Hired a Contract Killer“ ist jedenfalls in Teilen ein Gegenentwurf zu Welles‘ Kafka-Verfilmung „Der Prozeß“, dieser labyrinthenen Welt der Dachböden und Besenkammern, in denen der mit seinem Schicksal kämpfende Protagonist Joseph K. in der schönen Schwarz-Weiß-Verfilmung von 1962 sich in enger werdenden Kreisen bewegt. Dieser fiktiven Existenz wird aus ihr unerklärlichen Gründen der Prozeß gemacht, durch welchen K. schließlich verurteilt wird. Der Held in Kaurismäkis Geschichte, Henri Boulanger, verurteilt sich zunächst selber, in dem er nach gescheiterten Selbsttötungsversuchen einen Killer auf sich ansetzt. Im weiteren Verlauf ist er in ähnlicher Weise auf der Flucht – vor sich selbst und seinem Vorurteil, welches er nach seiner plötzlichen Entlassung gefällt hatte – „Scheu, schmal, fast stumm und sehr anrührend, eine komische Kafka-Figur, ein Enkel Buster Keatons.“ („Der Spiegel“ vom 18.03.1991)
The film depicts the city (its eastern side, especially) on the threshold of change, lurching from post-industrial slumber towards the embrace of the global economy. […] The cranes […] clearly demonstrate that this is an urban environment which is in a state of flux or mutability; it is an unstable rather than a fixed environment. (A Place to Go? Exploring liminal space in Aki Kaurismäki’s I Hired a Contract Killer)
[Ich erinnere mich vage an meine erste Besichtigung der London Docklands, deren Baustelle die in den Himmel ragenden Kräne markieren – 1993 auf einer Fahrt mit dem Abiturkurs. Wir sind mit einem fahrerlosen, autopilotgesteuerten Zug dort hin gefahren. Auf dem Weg aber hat uns am meisten die an der Strecke gelegene Battersea Power Station beeindruckt, weil wir alle die Animals von Pink Floyd toll fanden. Die Verbindung dieser beiden Dinge war natürlich großartiger als Maggies Bankhochhäuser auf den ehemaligen Docks es je sein könnten. So war das.]
In beiden Filmen werden insbesondere Türen zur Symbolisierung von Übergängen und Abschlüssen gezeigt, in Kaurismäkis Film besonders zu Anfang sehr deutlich, im Vorspann bereits mit den verschlossenen Türen und vernagelten Fenster der City of London am Übergang zu den 90er Jahren, die zugleich die Abwesenheit von Leben anzeigen, im „Prozeß“ manchmal übergroß markiert, manchmal als Loch in der Wand auf K.s Weg durch den Steinirrgarten der Gerichtsbarkeit. Das Werk Kaurismäkis beginnt nach der Bestandsaufnahme der Leerstände am Beginn, in dem eine Tür von einem Büroboten mit einem Rollwagen aufgestoßen wird – so kommt der Film in Bewegung, so setzt die Handlung ein, durch das achtlose, beiläufige Aufstoßen dieser Tür im Verwaltungsgebäude des Wasserwerks.
Im „Prozeß“ werden 5 unterschiedliche Türen insgesamt 15 mal geöffnet oder geschlossen, ein Teppich wird angehoben, zwei Schubladen geöffnet, ein Vorhang einmal auf- und dann wieder zugezogen und ein Rollo versucht herunterzulassen. Der Film beginnt mit dem Blinzeln des erwachenden K., eine Bewegung, die einige Einstellungen danach in der sich zögerlich und langsam öffnenden Zimmertür ihre Entsprechung findet und in der Variation wiederholt wird.
Anfangsszene "Der Prozeß" — die Tür des Joseph K. wird langsam geöffnet – eine blinzelnde Tür des erwachenden, feindseeligen Raumes analog zum blinzelnden Auge des Protagonisten einige Einstellungen zuvor…
In der Verfilmung von Welles erschließt sich das Motiv der Tür in der einmontierten Türhüterlegende, die sowohl im Roman als auch im Film als intradiegetische Metareferenz markiert ist, was in der Verfilmung noch durch den Verweis auf das Medium Film unterstrichen wird, indem nämlich der Vortragende einen Diaprojektor zur Illustration seiner Ausführungen nutzt, auf welchem Zeichnungen zu diesem kurzen Text gezeigt werden – hier kann von einem eliptischen Verweis gesprochen werden, in welchem der Film über das Bild auf sich selbst und zurück auf die die Erzählung deutet.
Franz Kafka: Der Prozeß
Aber nicht nur mit dem Türenmotiv als Grenzmarkierung und Raumende zitiert der „Contract Killer“ den „Prozeß“ – welch Unterschied liegt aber zwischen dem unüberwindbaren Großraumbüro der Kreditanstalt und der heruntergekommenen Schreibstube des zu privatisierenden Wasserwerks. Im „Prozeß“ entzieht sich der Protagonist nur durch die Verweigerung der Selbsttötung der übermächtigen Maschinerie der Bürokratie, bei Kaurismäki hingegen wird die Demontage des Systems betrieben und an Stelle der Türhüterlegende steht Joe Strummers Outlaw-Ballade „Burning Lights“…
Joe Strummer
Kaurismäkis Story ist also ganz eigen und reflektiert an einigen Stellen, besonders am Anfang zitierend die filmische Welt von Orson Welles. Wie sich herausstellen wird ist tatsächlich das Scheitern und der folgende affektive Akt der Selbstbehauptung durch das Anheuern des eigenen Killers bereits zu Beginn des Films ein Befreiuungsschlag, der die Helden dieser wunderbaren dystopischen Utopie zu einer glücklicheren Existenz verhilft.
Kaurismäki lässt die Kamera stehen und wir schauen erstaunt auf die Schönheit der ruhigen Bilder. Entsprechend agieren auch die Schauspielerinnen und Schauspieler; Alles ist Blick und kleine Geste. Farben die abgetupft scheinen von Hitchcocks Filmen, die ruhige Kamera verstärkt den Eindruch des fotographischen, bildhaften.
Joseph K. hingegen bleibt bis zur Schlußszene, in welcher auch er sich endlich von dem ihm bedrohenden System emanzipiert indem er den Suizid verweigert, Angestellter der Institution, ganz verstohlener, schüchterner Blick und unbegreifende Hände, die es dennoch immer wieder versuchen, er bleibt dem Direktor-Stellvertreter subordiniert. Das ist die große Tragik dieses Entwurfs, die Unausweichlichkeit. Das ist die große Hoffnung des Henri B.: Das Trotzdem und gerade deswegen.
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Kaurismäki, Aki: „I Hired a Contract Killer“, Finnkino / Pandora Filmproduktion / Pyramide Films / Svenska Filminstitutet (SFI) / Villealfa Filmproduction Oy, 1990. (IMDb-Seite)
Welles, Orson: „The Trial“, Paris-Europa Productions / Hisa-Film GmbH / FI-C-IT, 1962, DVD-Neuauflage Studio Canal Plus 2008. (IMDb-Seite)