Torte mit Armen und Beinen

Als ich am Montagmorgen zur Straßenbahn gehe, an der Fußgängerampel zur in der Straßenmitte gelegenen Haltestelle, kreuzt der Linienbus 175 nach Rotterdam Centraal meinen Weg. Die dunklen Scheiben lassen niemanden der Reisenden erkennen, ich denke daran, wie dennoch Menschen aus dem Fenster schauen werden, in Gedanken, gerade sind sie ein paar Kilometer weiter die Straße hinunter Stadteinwärts erst eingestiegen, am ZOB. Die meisten, so ist es ja mittlerweile, werden auf ihre Telefone schauen und sich mit der Fernanwesenheit der Anderen ablenken von diesem sonnigen Morgen und von dem, woran sie eigentlich jetzt denken sollten. Bremen Oldenburg Groningen sind die nächsten Stationen, dann weiter über Amsterdam nach Rotterdam Centraal.

Sofortiges Fernweh stellt sich ein und ergibt mit der Müdigkeit, denn bereits um ungefähr ½ fünf war ich erwacht, eine merkwürdige, leichte Euphorie, vielleicht. Vor allem das gedachte lange a in Centraal bewirkt dieses. Am Abend bestelle ich einen Reiseführer bei der Buchhandlung, der aber stand so wie so bereits auf der Liste. Dazu benutze ich einen Gutschein, den mir die Kolleginnen und en zum Geburtstag überreichten und den ich natürlich zuvorderst ½ Stunde lang suchen musste, denn in der kleinen Dokumentensammlung zwischen Monitor und Drucker, in dem der Umschlag hochkant sich befand, direkt neben dem Zackenbarsch, übersah ich den Umschlag zwei mal, ich vermutete das Stück Papier nicht mehr in einem Umschlag.

Darin war auch die Geburtstagskarte, auf der eine Torte mit Armen, Beinen und Mund abgebildet ist. Aus der Torte wurde bereits ein Stück herausgeschnitten, welches sie gerade in den Händen hält, offensichtlich um es zu essen. Sachen gibt’s.

Wenn die Rüben kochen

Jetzt ist es kälter und die dunkle Zeit ist da, also doch wieder gekommen. Zwei und noch viel mehr südlichere Tage waren da, ein fortgesetzter, schmerzlich hinausgezögerter Abschied vom großen Sommer, der das Land ausgetrocknet hat, der mich durch einige Tage eigentlich nur noch taumeln ließ, mit dem Hut aus Pappe auf dem Kopf und den Atem fast ganz angehalten. Wir waren Ende September/Anfang Oktober noch im Süden für einige Tage, in einer Stadt, die den Herbstvogel Krähe im Wappen führt, auch hier bereits kam die ungewöhnliche Hitze der Tage mit einem an jedem Abend wieder überraschend frühen Sonnenuntergang zusammen und dann, wieder hier, noch ein Tag, an dem wir den Sommer noch nicht gänzlich verabschieden konnten und noch eine Woche und noch, und noch, und noch. Als wenn es das letzte Mal Sommer sein könnte und als wenn er sich weigert, zu gehen, aber die Traurigkeit kommt doch und all das. Ich stell es mir vor, wie es wäre, zu wissen, dass es der letzte Sommer ist und ich meine, ich habe dieses Wissen auch schon in den Augen eines alten Menschen gesehen, auf der Bank sitzend, in der Oktobersonne, schon mit einer Strickjacke am frühen Nachmittag. Das wie diese Tage riechen, wie das Riechen immer stärker wird im Herbst, mit jedem Tag, an dem es am Abend etwas kühler wird und wenn die Rüben kochen und die Pilze wachsen im nahen Stadtwald und auf dem fallenden Laub der Tau vergeht. Wie dann alles zu einer Erinnerung zusammenfällt.

Einmal hatte ich die Idee, dass all diese Gerüche, die an etwas Erinnern, das wir entweder erlebt haben oder gerne erlebt hätten, auch an die Sehnsüchte der elektrischen Sommer der früheren Jahre, dass all das mit jedem Jahr mehr wird und dann, irgendwann, das arme Herz all das nicht mehr ertragen kann und aufhört, sich zu Erinnern, dass gleich der nächste Schlag kommen müsste. Aber das war nur eine Idee, die ich nicht sehr erfolgreich verbannen konnte und die jetzt immer wieder erscheint, sich an manchen Abenden auf die Nasenspitze hockt und davon nicht mehr abzubringen ist, wie man auch mit dem Kopf schütteln mag.

Jetzt sind die Gänse in der Luft, ich höre sie immer zuerst und dann sehe ich sie an jedem Tag im Himmel. Vor einer Woche waren wir an der Elbe in Hitzacker. Auch der große Fluss ist vom Sommer ganz leergetrunken, der ganze Himmel war gefüllt mit Gänserufen, große Verbünde kamen und flogen wieder, auf dem niedrigen Elbwasser, schwimmen sie zu Vielen. Ein sehr schöner Tag war das.

Kein Haus ist gebaut, genug Steine liegen aber auf dem Weg, genau genommen. Sie als erster zu werfen, oder anderweitig zu verwenden. Oft erinnere ich auch Augenblicke, wenn die Luft an einem Morgen etwa nach gerösteten Erdnüssen duftet, die es nie gab, was sie aber nicht weniger wahr sein lässt, vielleicht sogar im Gegenteil. Stifte stehen im Köcher bereit, dass alles aufzuschreiben, in den dunklen Nächten und auf der Mittelwelle senden auch noch ein paar Stationen, immerhin.

Auf den Brücken

Erster Schultag nach den großen Ferien: Die Straßenbahn wieder voll mit Schülern, zwei Mädchen unterhalten sich, wohin sie in den Urlaub verreist sind.

Ich war in Dänemark ich fahr auch so gerne nach Dänemark ich fahr so gerne mit der Fähre wenn wir ausgezogen sind können wir zusammen nach Dänemark fahren Au ja.

im Telefon sehe ich Bilder aus einer anderen, weit entfernten Stadt vom fast in der Dunkelheit verloren gegangenen Mond an und denke, wie wir selber an dem Abend aus waren, es war einer dieser vielen heißen Tage, auf dem Rückweg sind wir am Fluss entlang gefahren und auf den Brücken standen viele Menschen und schauten in den Himmel, es dauerte etwas, bis uns klar wurde, warum sie das tun. Dann haben wir den fast in der Dunkelheit verloren gegangenen Mond doch noch gesehen.

Mit bloßen Füßen

Einer der schönsten Momente beim Klassentreffen am letzten Wochenende war, ich fand es jedenfalls, als wir einen kurzen Weg am Abend gingen, den Kainer Weg hinunter und bis zu der kleinen Brücke über die Lachte. Das Wasser des kleinen Flusses ist dort ganz klar und nicht tief und wir zogen die Schuhe aus und wateten ein wenig durch das sandige Flussbett den Flusslauf hinunter, in der Abendsonne. Dann ging ich mit bloßen Füßen, damit die wieder trocken werden, über die warme Straße. Zwei oder drei schwarze, glänzende Käfer, die diese überquerten.

Mit einem Wimpernschlag

Im Blog-Backend klicke ich auf aktualisieren gerade eben und lasse zwei Plugins sich auf die neueste Version bringen, währenddessen holle ich noch ein Bier aus der Küche. Im Radio läuft ein Johann-Strauß-Potpurrie allen Ernstes und auf der Fensterbank der Ventilator. Das Twitter bringt Bilder aus dem Goncourt-Blog unter dem Titel [Société du soleil], dort ist ein Gedanke notiert, den ich jedenfalls gut kenne und verstehe und mir das auch schon überlegt habe.

Dabei werden die Chancen jeden Tag aufs Neue ausgewürfelt und der Zufall ist nicht vergesslich, er hat nicht einmal ein Gedächtnis. Wäre oft gerne mehr Zufall.

Vor einigen Tagen im Drogeriemarkt eine Lesebrille gekauft. Und die Hitze. Es ist, als liefen wir durch eine Unwirklichkeit. Dennoch immer noch jeden Tag alles zu machen, was der Tag einem nun einmal abfordert. Alles flimmert leise vor sich hin, die Vögel sind ruhiger. Menschen erscheinen einem vor den Augen und verschwinden wieder, sie sagen ein paar Worte dazwischen, die ich garnicht hören kann. Kaum schreibe ich das mit den leisen Vögeln auf, spielt das Radio das dazu passende Lied als einen kitschigen Ersatz. Das ist jetzt der Sommer mit den Fledermäusen und ich muss nicht die Gedanken bis zum Ende aufschreiben, es ist ja doch bekannt, was gesagt werden soll.Ich kann sie alle hier nebeneinander auf den Bildschirm legen und dann ergibt sich alles. Gestern mit einigen wenigen Ehemaligen in einem Biergarten am Rande des Stadtwalds getroffen. Alle hatten Bierdeckel auf ihre Gläser gelegt, um die Wespen fernzuhalten. Die Wespen aber, sie sind ein wenig wie wir sind, zur Zeit, sie sind nicht sehr kampfeslustig und lassen sich fast schon mit einem Wimpernschlag vertreiben. Wir ließen sie an die leergetrunkene Coladose heran, die auf dem Tisch lag und an die zuckrigen, kleinen Pfützen, die von den Alsterwassern auf dem Holztisch gelangt waren. Es waren winzige, zitternde Wesen, die sich dem Zuckerwasser begierig, aber sehr vorsichtig, näherten und es dann aufsogen.

Die kleinen Kinder zwei Tische weiter, vielleicht vier Jahre oder fünf sind sie, fangen plötzlich an, Bella ciao zu singen, nur immer die zwei Worte, Bella ciao, Bella ciao, ciao ciao singen sie. Alles zukünftige Antifascista, vom Pop zum richtigen Leben im Falschen verführt und alle Kritiker wiederlegt. Wir werden sie bitter nötig haben.


Der Mann mit langen, fettigen Haaren saß an diesem Nachmittag an der Haltestelle Friedhof Lahe, auf seinem Schoß wohl einen Tabakbeutel, neben sich, rechts und links, Bierflasche und vielleicht eine oder zwei kleinere Schnapsflaschen stehend. Die Hände wie erstarrt in der Drehbewegung zur Zigarette, der Kopf ein wenig nach unten geneigt. Hoffentlich, dass er nur schläft, und nicht einen Hitzschlag erlitten hat.

Insgesamt 20.000

Gestern auf dem Balkon in der Dämmerung und der etwas leiseren Hitze des Abends, als die Fledermäuse schon flogen und es erst in der einen Ecke des Hinterhofs und dann in der anderen Ecke des Hinterhofs und dann, nach ungefähr einer halben Minute, noch in der Mitte des Hinterhofs drei oder fünf Tropfen regnete, vielleicht insgesamt 20.000. Es war ein leichtes Schweben in all dem, es vermischte und verwischte sich alles ein wenig mehr als gewöhnlich, im Rückblick.

Die Uhr blieb stehen, nicht die Zeit

Heute Nacht kam dann endlich der ersehnte Regen, wobei es wohl auch blitzte und krachte, dass es gut war die Ohrenstopsen zu tragen. In der letzten Woche hatte ich R. ja welche dsvon geschickt, in einem Brief, nun weiß ich nicht ob die ankamen denn ich hörte nichts. Sie hatte diese zum Mitbringen in Auftrag gegeben aus einer Stadt im hohen Norden, die ich kürzlich besuchte und in der es angenehm warm war, zu dieser Zeit bereits. Am morgen lag dann noch der Dampf des Gewitters auf den Feldern und die luft war aber angenehm kühl, verglichen mir der Hitze der vergangenen Tage. Würzig roch sie. All diese vergessenen Gedanken sie hinterlassen Leerstellen, winzige, die aufzufüllen sehr schwer sein kann, und in der letzten Zeit kamen einige hinzu.

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Aufpassen müssen wir, dass die Zahnpasta nicht explodiert wenn wir vorher Kindercola getrunken haben. Alle Erwachsenen essen Kirschen bevor sie Schwimmen gehen.

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Bei Rewe gibt es keine Sammelbilder mehr, eine Woche vor dem Turnier. Die Kinder sind enttäuscht, mir ist es egal wie nichts. Draußen auf dem Parkplatz, beim Hähnchengrill, fragt eine Frau den Grillhähnchenverkäufer, wie spät es jetzt wohl wäre, erzählt dann, als Begründung oder Entschuldigung, aber vielleicht nur um etwas zu erzählen, dass ihre eigene Uhr nämlich stehengeblieben wäre.

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Ich weiß wirklich nicht mehr, wann all dies gewesen sein könnte, irgendwann in letzter Zeit jedenfalls.

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Beim Blick in den Kochtopf fragte ich mich, ob die Löcher, die sich im Reis während des Kochens bilden, die durch die aufsteigenden Luftbläschen entstehen und kleine Tunnel sein dürften, auch so gleichmäßig verteilt wären, würde der Top etwa auf einem offenen Feuer stehen oder an einer Kette über einer Feuerstelle hin- und herpendeln.

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Nebenbei (wie so alles nebenbei gemacht wird) drucke ich die gesammelten Rezepte neu aus, denn sie wurden vielfach gekocht und das sieht man den Blättern jetzt an. Recherchiere sie noch einmal, wenn es noch keine Druckvorlage gibt und sortiere sie dann in Klarsichtfolien

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Am Morgen bespricht eine Frau, die auf dem Einzelsitz schräg rechts hinter dem Busfahrer sitzt, die Rathausaffäre mit diesem. Sie sind sehr wohl einer Meinung.

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Das Lied der Amsel dauert den Frühling, Sommer und den Herbst.

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Auf der Arbeit nachgeschaut, wie die Abkürzung von „Unter Umständen“ richtig geschrieben wird: u. U.

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Als ich durch den schönen grauen Morgen am Kanal entlangfahre, liegen die Schiffe Annabelle und Alina hintereinander am Ufer. Kanalschiffe haben oft Namen, die an Frauengestalten im Schlager erinnern.

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Das jedenfalls notierte ich am letzten Freitag

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Am Nachmittag scheint die Sonne. Es sind jetzt die Bäume und die Büsche , das Gras usw., in schönstem Grün aufgeschrieben.