Aus den Briefen – 19 –

Ich habe einen Etikettendrucker und ein T-Shirt, auf dem ein Skalenblatt mit den Namen der Mittelwellensender aufgedruckt ist.

Der Schlangenkaktus auf der Fensterbank bekommt immer die Pfütze kalten schwarzen Tee, die ich stehen lasse, so hat es die Oma schon gemacht und es ist dieselbe Pflanze.

Als ich gestern bei Lidl einkaufen war, pfiff ich fröhlich den Song Lithium von Nirvana vor mich hin, „I want it I’m not gonna crack, I like it I’m not gonna crack“. Das stimmte so nicht, wie sich später herausgestellt hat.

Lithium ist als Metall besonders für zwei Einsatzbereiche bekannt: Einerseits wird es als Medikament — etwa als Lithiumcarbonat — bei u. A. bipolaren Störungen gegeben, andererseits findet es Verwendung in Akkus, (»Lithium-Ionen-Akku«), wie sie etwa in Telephonen, Elektro-Rollstühlen und -Autos verbaut werden. Protofaschistische Milliadärsmogule der Qualität James-Bond-Bösewicht haben einen großen Bedarf an Lithium, welches allerdings in Brandenburg eher nicht in besonders großen Mengen im Boden zu finden ist.

Kleiner Wald, vorsichtig noch

Um das Flüchtlingsheim herum an der Straße, rein oder aus der Stadt raus, wächst ein kleiner Wald, vorsichtig noch, denn wie lange lässt man den dort stehen? Die Container wirken, aus dem Busfenster betrachtet, ruhig und gelassen. Türen stehen offen, Stühle, die aussehen wie von Behörden ausgemustert, auf dem Weg zwischen den Wohnstätten, eben trägt einer ein Netz mit Einkäufen nachhause. Schon ist der Blick vorüber geglitten, der Kopf hängt noch Worte hintenan wie etwa Flüchtling, Liebling, Schmetterling singt ein Lied vom Frühling, vom letzten Sommer vor dem Faschismus.

hieroglyphen und algorithmen

 leichter drangsal auf den billigen plätzen – es werden cocktails mit peroxid gereicht und alle lösen auf einmal ihre coupons ein, weil es kein morgen gibt, jedenfalls heute nicht. hieroglyphen und algorithmen bestimmen unser handeln, heute noch mehr als wie gestern. bunter niederschlag allerorten, handschlag handschlag umschlagplatz, wer wenn nicht jetzt, wann wenn nicht hier. wo wenn nicht woanders.

Fotofix

»Guten Tag, die Polizei« sagt der eine von den vier Polizisten zu dem, der in einer der Fotoautomaten-Kammern eingeschlafen war, die am Seitenausgang des Hbf sich befinden, Fotofix oder so, da ist es kurz vor halb acht und ich denke nur dazu, dass sie eigentlich hätten »Guten Morgen« sagen müssen, korrekterweise. [26.1.24]

Nur ein Gefühl

Im Moor steht Wasser. Auch der See hat keine kahlen Stellen mehr, nach über einem Jahr ist er wieder bis zum Rand gefüllt. Es war ein gutes Jahr für den Wald, hier in dieser Gegend, aber das ist nur ein Gefühl.

Heute am Morgen dann auch die „Ballade von den Seeräubern“ im inneren Ohr, die haben wir auch immer gesungen auf Fahrt. Und das Lied von den Moorsoldaten, das ist aber nicht in diesem Moor entstanden. In diesem Moor waren die Sinti interniert.

Am Abend, am Kanal. Ich habe mit dem Rad kurz angehalten, um zu schauen, ob noch Einkaufswünsche ankamen, die ich dann überlesen kann. Ich stehe auf einer kleinen Terrasse, die in den Kanal hineingebaut ist, mit einer Rampe, auf der kleinere Schiffe ins Wasser gebracht werden können.

Die Dunkelheit fällt jetzt wieder schnell herab vom Himmel, eine Bewegung, ein Rattenschatten läuft jenseits des Geländers, auf der Wasserseite, auf dem kleinen Vorsprung, entlang, springt dann ohne zu zögern ins Wasser am Ufer, ich sehe sie noch ein paar Züge schwimmen, dann taucht sie unter. Als wenn das einfach der gewohnte Weg wäre. Sie hatte einen schönen braunen Pelz, die Ratte.

Heute am Morgen:

(was jetzt schon gestern ist) – ein Eichhörnchen springt in langen Sätzen über den Weg. An der Kreuzung Buchholzer/Kirchhorster sprüht ein Polizist symbolische Schuhabdrücke auf den Gehweg vor der Fußgängerampel. Am See suchen zwei Männer mit Metalldetektoren den Strand ab. Das Getreide ist nun gemäht. Es ist ein schöner Morgen.

Kurier dich mit Bier und Kriechstrom, der übrig blieb von der Phantomspeisung

(Irgendwann zwischen Februar und März)

Im Biosupermarkt im Hauptbahnhof beobachte ich, wie einer nach dem Bezahlen sieben kleine Flaschen Bier in einen schwarzen Handgepäck-Koffer tut. Dazu muss er einen kleinen Hartschaumball und ein Panda-Kuscheltier auspacken. Der Panda findet wieder Platz im Koffer, der Ball muss in einen Rucksack ausweichen, den er zusätzlich mit sich führt. Zuvor hatte er schon das Misstrauen des Wachmenschen im Drogeriermarkt geweckt, weil er wohl das Duschgel nirgendwo finden konnte, und dann plötzlich den Korb auf einem Stapel Toffifee abstellte, um den Laden zu verlassen und zu Sanifair zu eilen.

Phantombild

Zwischen all der Werbung auf einem der großen Monitore im Bahnhof am Morgen plötzlich ein computergeneriertes Kinderbild: FAHNDUNGSAUFRUF UNBEKANNTE KINDERLEICHE.

In der Dämmerung sitze ich wieder im Bus und sehe, auf einer großen LED-Werbetafel, etwas entfernt und in einer Stichstraße, wieder das berechnete Kinderbild. Ein Geist, der an verschiedenen Orten der Stadt erscheint, manchmal gleichzeitig. [4.1.23]