Jakobsmuscheln

Am Freitag war ich spät dran, um den Bus am Bahnhof noch zu erwischen. Da jetzt wieder die Zeit ist, in der ich die Haltestelle und den Bahnhofvorplatz in der Dämmerung erreiche, hätte ich die Krähen erwartet – ein paar waren auch auf den Zweigen und in der Luft, aber vielmehr ein helles Summen anderer Vögel, ein durch die vielen gleichartigen Rufe durchgehender Ton. Versehentlicht nicht auf den Aufnahme-Knopf gedrückt. So bleibt es eine Erinnerung. Sammelten sich die Vögel, um zu einem großen Flug in den Süden aufzubrechen? Während der Busfahrt höre ich französisches Radio. Es werden Jakobsmuscheln beworben, das Kilo für 5 Euro. Der Kontrolleur riecht nach Speick-Seife, wie die ganze Wohnung eines Schulfreundes damals nach Speick-Seife gerochen hatte, oder zumindest das Badezimmer, welches auch als Fotolabor genutzt werden konnte und eine Klemmlampe mit einer Rotlichtbirne darin an irgendeiner Stelle angebracht hatte, wenn ich es richtig erinnere. Der mittlere Bruder baute Radios. Ein Lastwagen mit der riesigen Aufschrift KÄLBERSTROH.de fährt vorbei als ich aus dem Bus ausgestiegen bin und später, in einer Videokonferenz, wird ein entflogener Papagei besprochen.

Die gerufenen Geister, wie sie fliegen

Einem Wink des Zaunpfahls am Wegesrand und der vermaledeiten Neugier folgend, der Maschine Midjourney zu imaginieren erlaubt, anhand bereits vorhandener Textteile, die zuvor (von einer anderen Maschine) übersetzt wurden; und seht die gerufenen Geister, wie sie fliegen.

/imagine But then there is the smell of the harvested field where the crows are already in June.

/imagine a man dressed entirely in black with black hair and a full black beard walking down Bahnhofstrasse, his eyes are also raven black and when he hears the first notes, a somewhat strange dance begins immediately, somewhat like the dwarf in a dream

/imagine Where everything grows in the end can only be up in the sky and there, one hears, everything is already full of things that don't belong there and there is no more space

Aber dann ist dort der Geruch des geernteten Feldes, auf dem die Krähen sind, bereits im Juni.

Heute dann also aus Zeitgründen mit dem Bus zur Arbeit. Vor dem Bahnhof steht ein dicker Mann mit den Füßen und Beinen in den Fontainen des direkt aus dem Boden sprudelnden Springbrunnens und telefoniert lautstark.

 

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Eine Woche später, also am 21.7., am Morgen beim Augenarzt gewesen. Sitze danach mit Schokocroissant auf einem der in den Boden eingelassenen Hocker, in einiger Entfernung zu dem Gulli, aus dem die Musik kommt. Von dort leise Jazztöne. Dann kommt ein ganz in schwarz gekleideter Mann mit auch schwarzem Haar und schwarzem Vollbart die Bahnhofstraße hinunter, auch die Augen blitzen rabenschwarz und als er die ersten Töne vernimmt, beginnt sogleich ein etwas merkwürdiger Tanz, etwa wie der Zwerg in einem Traum. Dann wendet er sich auch einige Male mit einer sich selbst präsentierenden Armbewegung, oder zeigt er auf den Gulli und beginnt einige Sätze in einer unbekannten Sprache. Entfernt sich sodann, stampft aber auch noch ein oder zwei Male auf um zwei Krähen, die sich mit einer Chipstüte befassen, zu verscheuchen und erschreckt einen in einem Weißen Poloshirt, der unvorsichtigerweise beim Gehen auf sein Telefon starrt.

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An dem Tag ein Buch über Krähen geschenkt bekommen. An dem Tag „Das flüssige Land“ zu lesen begonnen. An dem Tag war ein einseitiger Artikel in der Zeitung darüber, dass im Groninger Umland große Risse in den Häusern entstehen, weil die Erde infolge des Gasabbaus absackt.

Einem Streifen Regen

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dann nicht ausweichen gekonnt und recht aufgeweicht an der Noltemeyerbrücke, auf ca. einem Drittel der Strecke also dann, in den Bus gestiegen. Das Letzte, was noch zu erledigen wäre ist zu zählen, wieviele Birken zwischen Kirchhorster See und dem Kreisel am Ortseingangauf der linken Seite der K112 stehen. Auf dem Kreisel heute wieder ein Theodolit, mit dem zur kürzlich gemähten Wiese hinter dem Bushaltestellenhäuschen des 900/630 Richtung Burgdorf bzw. Großburgwedel gepeilt wird. Dort abgesteckt quadratische Claims, mit schmalen Latten, die am oberen Ende orange angemalt sind. Am Rande der Wiese steht ein kleiner gelber Bagger, Teil eines Ensembles, das aus einem Bauwagen, einem Kastenwagen und einem Lieferwagen besteht, alle in dem schönen Parkbankgrün angemalt. Auf einem Schild an einem der Wagen der Schriftzug Schollenberger Kampfmittelbergung. Im trockenen Graben brummt ein Stromgenerator. Auf dem gemähten Kraut steht jemand und hört den Boden ab, ein anderer steht daneben. Gefunden wurde am Ende ein Findling, der vermutlich seit tausenden Jahren hier in der Erde lag.

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Vor ein paar Tagen stakste ein  Storch über das trockene Heu auf der Wiese. Von dem Storch kein Foto.

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Das Gewerbegebiet wird also dann weiter wuchern an Stelle von Kraut und Wiese, die Stadt wächst auch in den sie umgebenden Dörfern aus sich hinaus und wächst in sich in die Brachen hinein. Die kleinen Wildnisse verschwinden. Später werden einige behaupten, das man Geld doch essen kann und sie werden es im Chor in die Netze schreiben, dass ihnen mehr und mehr Glauben schenken.

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An dem Holzschuppen stand der Schachtelhalm und die Wände waren im Schwarz einer Holzschutzfarbe gestrichen. Es war ein mehrere Meter langes Gebäude, welches neben dem Fußweg (Radfahrer frei) in Richtung des einen Supermarktes stand. In manchen Sommern wuchsen bereits ein paar Gräser in der Rinne.

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Von dem Schachtelhalm kein Foto.

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Wo alles am Ende hinwächst, kann nur nach oben in den Himmel sein und da, so hört man, ist auch schon alles voll mit Dingen, die dort nicht hingehören, und kein Platz mehr.#

An diesem Morgen des 14.4. wurde auf den ersten Seiten des Kalenders, also im bereits abgelaufenen Jahr, notiert:

Was es für ein besonderer Morgen gewesen ist, ich weiß nicht aus welchem Grund, die Luft war warm, aber es hatte gerade aufgehört zu regnen. Das helle grün, noch licht, an Sträuchern und Bäumen, aber der Himmel grau, wolkenverhangen. Der Holzschuppen am Busdepot ist nun auch abgerissen, vermutlich für neue Wohnhäuser. Ich fahre den Pastor-Jäckel-Weg heute, denn der Strecke am Kanal ist nach so einem Regen nicht zu trauen, es werden nur Hose und Rad dreckig. Zwischen Günther-Wagner-Allee, Klopstockstraße, also am Tintenturm, wird ebenfalls eine weitere Brache zugebaut, ein verwuchertes Schotterstück, das doch Luft und Licht und Abkühlung im Sommer war, und wo die Vögel natürlich leben konnten und bestimmt auch anderes Getier. Der kleine Markt am Eingang zum Dichterviertel.

Pizzabote der Apokalypse

Den Schafen auf Wiedersehen gesagt, am Montag.

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Dienstag. Als ich am Morgen durch den Bahnhof gehe, wird gerade der 7-uhr-20-Zug nach Norddeich/Mole angesagt. Vor dem Bahnhof eine Tonaufnahme von Dohlen, Krähen, Kehrmaschine gemacht. Wer im Grand Hotel oder Kaiserhof absteigt, für den ist das Spektakel im Zimmerpreis inbegriffen. Die Vögel sammeln sich hier an jedem Morgen vor der Dämmerung. Sie sitzen in den Baumwipfeln und fliegen in kleinen Gruppen über dem Bahnhofsvorplatz, über dem ein Netz aus Kabeln gespannt ist, an welchen Lampen hängen. Auch diese Kabel nutzen sie, um sich darauf niederzulassen, vorzugsweise dort, wo die Kabel dicht an die Baumkronen anschließen.

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Donnerstag. Im Donutladen im Bahnhof kauft der Kunde vor mir ein paar Donuts mehr ein und ich fragte ihn, ob er für die Abteilung einkauft, ja er hätte heute Geburtstag, herzlichen Glückwunsch. Kaufe auch Donuts für die Abteilung und dann gehe ich zur Haltestelle, wieder die Dohlen und Krähen.

Aus dem abfahrenden Bus sehe ich ein Schulkind in einer dünnen Jacke, das vor einer Baustellenabsperrung sitzt und in einem sehr dicken Buch liest, die Maske auf, Paperback.

An der Podbi steht der Bagger auf den Trümmern eines Hauses, das gestern noch stand, die vordere Wand des Erdgeschoss noch da, auf einem vergilbten Schaufenster das Wort Pizzabote.

Hunde und ihre Besitzer

Die Idee gehabt, sich in die Fußgängerzone zu setzen, mit einer Zeitung mit Kucklöchern, um bspw. unauffällig Hunde und ihre Besitzer beobachten zu können.

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Am Montag sehe ich auf der Kreisstraße einen Laubhäcksler, der als Anhänger hinterhergezogen wird. Gleich die Szene aus „Fargo“ präsent.

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Ich sage zum Koch, dass ich heute mal zwei Scheiben Käse nehme statt Käse & Marmelade, er sagt Leben am Limit, und sofort muss ich mich an den Käse-Sketch erinnern, den mein Klassen- und Englischlehrer Chris L. zusammen mit meinem Mathelehrer Peter B. bei einer Fasching-Feier aufgeführt hat. Der Käse-Sketch ging ungefähr so, das einer der beiden, kostümiert mit einer abgewetzten Jeansjacke und einem aufgepunkteten Stoppelbart, einen Käse-Abhängigen mimte, der einem Interviewer (das war mein Klassenlehrer) erzählte, wie er erst mit dem harmlosen Zeug, wie Gouda und Butterkäse, angefangen hat, bis er schließlich und konsequent bei Roquefort und Ziegenkäse gelandet ist.
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Spatzen sitzen nicht auf Dächern, aber in Hecken, am Morgen zwitschern sie alle gemeinsam an verschiedenen Stellen, so am Hundeweg und hinten an der Mühle, aber auch dazwischen noch bei anderen Gelegenheiten.

Der 2. Fiebertag

nun schon in diesem Herbst, diesen 2. November, 20 Grad heute, den Weg zur Arbeit in Hemd und T-Shirt, auf dem Fahrrad, und zwar zwischen 7 Uhr und 8 Uhr am Morgen — als würde ich noch unter einer zu warmen Decke schlafen, der Wind kommt aus irgendeiner weit entfernten Wüste wohl, die Luft fällt schwer zu atmen. Am Mittag der Wirtschaftsweg in das Wäldchen hinter der Lagerhalle, Traktorspuren, ein Portal nach wohin genau, jedenfalls Weg von hier, das vorletzte Laub an den Bäumen im grellen, warmen Licht. Abends steht stürmischer Wind schräg in der Luft, dennoch am See das Tuch vom Hals genommen und das Hemd ausgezogen, fieberndes Wetter, Blätter fliegen entgegen, ein Vogel, eine Fledermaus und auf einer Parkbank flüstern Jemande leise in die Schatten hinein. Regen am Kanal, leichtes Sprühen nur, der warme Wind bleibt und die Schiffe sind im Dunkeln, ich kann ihre Namen jetzt nicht lesen.

Gestern am Morgen Gänse in der Luft. DIe Gedanken sind bei ihnen am Himmel, sie fliegen dann einen Moment mit, ganz froh über den langen Flug, vielleicht aber überwintern sie auch im Norden, wie wir.