[22.9.] Lese die Notizbücher eines Bekannten,

die ein Verlag sich bereiterklärt hat abzudrucken. Die Gefahr, mich darin wiederzufinden, besteht kaum, denn so oft sehen und sahen wir uns nicht und kennen uns also auch nicht wirklich. Ich hatte ihn einmal für eine Radiosendung interviewt und das ist bestimmt mehr als 15 Jahre her. Das dürfte eines der längsten Gespräche gewesen sein, die wir geführt haben. Nun lese ich also in den Notizbüchern eines letztenendes doch recht fremden Menschen, sehr literarische Fragmente durch die Zeit und auf der Strecke zwischen den Orten. Manchmal auch aufgeschriebene Todesdaten von Menschen, bei denen ich nur einen Namen kenne und wieder bemerke, wie wenig ich doch gelesen habe bisher oder vielleicht auch nur wenig aus dem Indie-Kanon der in den 70er Jahren d. l. Jh. Geborenen. Dafür mehr Lustiges Taschenbuch. Die Inspiration, die sich, während ich während einer Zugfahrt auch darin las, aber auch selbst die endlich einmal wieder etwas umfangreicheren Reisenotizen vervollständigte, ergab, führt nun hoffentlich dazu, selber einmal mit der Abschrift sämtlicher Notizbücher zu beginnen, ich habe keine Ahnung, wie viele sich über die Jahre angesammelt haben, aber sie befinden sich immerhin — mehr oder weniger — alle an einem Ort und sind schnell gefunden. Veröffentlichen werde ich sie aber nicht, vielleicht hier und/oder da einen kurzen Text nur.

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Ich hatte den EIndruck, dass Situationen und Augenblicke aufgeschrieben werden, die ohne das Ich auskommen, als ich aber dann weiterlas, mit diesem Gedanken im Kopf, bemerkt, das tatsächlich oft ein Ich gesagt ist. Es sind aber Texte zwischen dem noch persönlichen und dem schon ausgedacht gewordenen, in einem Zustand dazwischen.

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[14.10.] Auf der Seite 112 dann eine bekannte Adresse, zumindest der Name der Straße, in der eine gemeinsame Freundin(?) lebt, die sich zumindest bei mir aber auch nicht meldet, daher das Fragezeichen(?), vielleicht müsste ich dazu auch erst ein  Buch schreiben. Vor sechs Tagen hatte sie Geburtstag, ich habe daran gedacht und nicht gratuliert. Weil es nicht einzusehen ist, dass immer nur ich mir Geburtstage merke. Heute aber mit einer Textnachricht jemandem dann doch alles Gute gewünscht, den ich nun bestimmt auch sehr sehr lange weder gesehen noch gesprochen habe.

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Berlin hat viele meiner Freunde verschwinden lassen mit einem Taschenspielertrick.

nach oldenburg (oldenburg)

im zug nach oldenburg RE 4418 stehe ich gerade in bremen da werde ich nachher vielleicht wieder stehen, also sitzen, während aber der zug steht oder zumindest anhält, innerhalb dieser langen pendelbewegung die ich heute beschreibe. phantom-anfahrt wenn ich denke der zug fährt ganz langsam an dabei bin ich es nur, der sich ein stück zurück bewegte gedanken verloren neben den gleisen. die lärmschutzwände die häuser neben den bahnschienen jetzt die ansagen im bahnhof. der ewige standard-ton bei eintreffender textnachricht die fahlen geäste der gebüsche am 1. Februar. pferde gehöfte sehr viele häuser die die menschen wohl schön finden müssen die in ihnen wohnen. die kleinen städte. die einfahrt nach bremen, hier eine lange reihe wohnhäuser ohne schallschutzmauer die ja nur den blick auf die gleise versperren würde, aus den fenstern und von den balkonen aus. weiter gehts gleich über die weser. leider nicht nach norddeich für mich wie schön es wäre.

hinter bremen stehen schwarze rinder auf einer wiese, es ist noch eis in einem kanal. das wintergrün. ein kind lernt kostbar sprechen auf dem viererplatz nebenan es zeigt aus dem fenster und macht jeweils dengleichen laut, in etwa. in delmenhorst gibt es ein linoleumwerk.

[Aufgeschrieben auf dem Smartphone während der Zugfahrt, ein paar Tippfehler korrigiert]

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Als ich nach dem Gespräch das Haus verlasse, ist es schon Dunkel. Ich muss mit dem Bus 321 zurück zum Hauptbahnhof, wo ich vorhabe, mir ein belegtes Brötchen und eine Flasche Bier zu kaufen, um dann den Regionalexpress zurück nach Hannover zu nehmen. An der Bushaltestelle, die vor dem Parkplatz eines Shopping-Centers mit real,-Markt liegt, steht eine Frau, vielleicht 25, mit ihren Einkaufstüten und dampft E-Zigarette Geschmacksrichtung Banane. Am Abend erschließt sich mir die Stadt rechts und links der Buslinie ein wenig besser, ich sehe gemütlich beleuchtete Kneipen etc., sehe, wo mehr oder weniger los ist, einfach daran, wieviele Menschen unterwegs sind. Eine Straße heißt „Ewigkeit“, eine Straße heißt „Nikolausstraße“, dass ist bevor es über einen Kanal geht, was ich schon von der Hinfahrt weiß. Erinnere mich eigentlich garnicht an die Stadt, die ich Mitte/Ende der 90er Jahre einmal kurz für einen Tag besucht habe, eigentlich nicht die Stadt, sondern einen Freund, den es zum Zwecke seines Musikstudiums hierher verschlagen hatte. Den Tag verbrachten wir dann garnicht einmal in Oldenburg in Oldenburg, sondern in Dangast, wo wir, dass aber weiß ich noch, Rhabarberkuchen aßen, weil zu der Zeit ein unglaubliches Getue um den Rhabarberkuchen in diesem Café in Dangast veranstaltet wurde. Ganze Motorradgangs reisten hier am Wochenende an, nur um den Rhabarberkuchen zu essen, Kaffee zu trinken und selbstgedrehte Zigaretten zu rauchen. Danach spazierten sie am Strand einmal bis zum Riesenpenis undzurück. Wir taten genau das, und abends waren wir zurück in der Stadt in einer Kneipe an diesem großen Kreisel, den der Bus auch durchfährt auf dem Weg zurück. Die Legende geht, dass die Kaninchen, die die Grünfläche im Kreiselinnenraum besiedeln, niemals nach außerhalb des Kreisels gelangen und es auch garnicht wollen. Es ist dunkel draußen, so das ich mich ganz auf die mitgebrachten Lektüre bzw. den Textfunk konzentrieren kann. Ein ungleiches Paar, eine Zufalls-Zweckgemeinschaft, sie, vielleicht 28, fährt bei ihm, vielleicht 55, auf der Fahrkarte 20 Minuten lang mit bis zum nächsten Umsteigebahnhof (Hude? Bremen?), wo sich ihre Wege wieder trennen werden. Sie studiert vielleicht in Oldenburg, er war zu Besuch, als sie aussteigen, hat er ihr bereits sehr viel aus seinem Leben erzählt, wie lange er mit der Frau zusammen war, die er gerade Besucht hat, aktueller Beziehungsstatus (fährt er jetzt wieder hin), wie das alles gewesen ist usw., sie ist zögerlicher, aber erzählt ihm doch ein paar Dinge, waren immer zufälligerweise in getrennten Städten, aber jetzt sind es doch bereits sechs Jahre, vielleicht wäre es ja doch mal ganz schön. Dann gibt man sich die Hand und sagt lebewohl.

Im Niemandsland zwischen Porno und Schlachthof

Wie aber soll ich jetzt noch erzählen, wie es an diesem Abend war, im Nachhinein,

neben dem Wertstoffhof Sandstraße 3 wurde jetzt eine Stichstraße zur Rückseite des Paketpostamts im ehemaligen Hauptgüterbahnhof gebaut. Noch führt die Straße durch eine Brache, wie es so genannt wird, aufgeschüttete Erd- bzw. Sandhügel an der Seite Richtung Weidendamm. Hier komme ich ganz nah an die Conti-Fabrik ran, das singende Haus, was vorher nur möglich war, indem der Bauzaun vor dem Hauptgüterbahnhof ignoriert wurde. Ich meine, ich hätte dort auch einmal Fotos gemacht, die ich nie wieder finden werde.

Ein von F (@fabeblau) gepostetes Video am

Noch ist dort nichts entschieden, bald wird alles besiegelt sein.

Unverhofft, ungeplant und ahnungslos schneite ich dann in die endende Ausstellung

Menschliche Formen im Keller III

 

Weil ich dort nur einmal durch den Raum streifte und kaum etwas darüber wusste und auch es einfach so hinnahm wie es war, schreibe ich nicht so viel. Wie ich jetzt weiß, wurde die Ausstellung von Jan Orbonik, Enrico Mercaldi, Anna Stepper, Caroline Momma und aNNa Denger veranstaltet, in der Erinnerung hängen blieben lange, dicke Zungen, die aus den Mauern herauslecken — auch Anderes erinnerte an Körperteile, irgendwo im Niemandsland zwischen Porno und Schlachthof. Recht zentral hing, an durchsichtigen Fäden, eine weiße Skulptur eines Frauenkörpers von der Decke herab, in die hinein- bzw. heraus Kabel führten, die ziellos in der Luft endeten. Fotografien an den Wänden, an die ich mich jedoch kaum erinnere, was nicht an den Aufnahmen, sondern an mir und meinem auf Kürze ausgerichteten Besuch, auch an der Aufbruchstimmung in dem Raum lag, denn es war der Abend der Finnisage und die Musik war noch ganz leise, außer mir, der dort keinen und den dort keine kannte, war noch kein weiterer Besuch a.a.O..

Über dem Ausstellungsraum im Untergeschoss, den man durch eine kurze, steile Treppe erreicht, befindet sich ein Tango-Club, aus dem die altmodische Musik laut herauskam und auf den Hinterhof sickerte, zusammen mit dem roten Licht, welches die Tanzfläche beschien. Ich habe auch davon kein Foto gemacht. Der Weidendamm ist eine Straße, die ein wenig unbestimmt ist, was sie gerade interessant macht. Gegenüber in der Nummer 27 hat S. mal gewohnt, ganz am Anfang der Studienzeit, es ist eine andere Stadt gewesen und auch die Zeit wurde mit anderem Maß gemessen.

Connoisseurs of Disease

 

Auf’s Fahrrad und weiter in den nächsten Keller, wo neben anderen Menschen Freund K. in seiner Brummkistenkünstler-Identität auftrat. Hier daher ein kurzer Eindruck davon.

Es ist mit dem Handy gefilmt und der Ton war, aber das ist ja ganz klar, viel gewaltiger. Der Klang füllte den ganzen Raum und vibrierte aus den Ecken und an den Wänden entlang, über den Boden und von der niedrigen Betondecke herab. K. drehte sehr schön an den Knöpfen und verfolgte diese Strategie bis zum Schluss weiter.

Irgendwoanders im Netz wird es ggf. noch einen weiteren Video- oder Tonbeitrag dazu geben, in nicht allzu ferner Zukunft. Merkwürdig Riechnerv fand ich auch sehr großartig, weil vollkommen präsent trotz dem der Gesang von Tom Smith zu leise eingepegelt war. Sudden Infant, letzten Endes, waren dann tatsächlich die Gruppe mit den erkennbarsten Songstrukturen an diesem Abend und verwandelten den Raum eindrucksvoll in eine post-industrielle Klangmauer, die in hochfrequenten Abständen emporwuchs und wieder eingerissen wurde. Schlagzeug / niedrige Decke / nackter Beton.

Die Nacht war warm und etwas düster, die Bank, die einmal um den Baum herumgeführt ist, ist seit bestimmt 20 Jahren verbeult. Ständig senkt sich eine Arschbacke in eine dieser Kuhlen und alle haben Mühe, wieder aufzustehen mit ihren menschlichen Formen.

Der Text muss einmal größer! Werden!

Ein weiteres Notizfeld aufgemacht um Dinge zum dritten mal für „Später“ aufzuschreiben, nachdem sie bereits zwei mal im Notizbuch gelandet sind. Aber so genau soll es sein mit der feineren Zettelwirtschaft, es muss Überfluss sein und undurchdringbrares Gestrüpp. Weil wir Fährtenleser sind. Weil uns nichts anderes übrigbleibt, als die Rauchsignale zu deuten und auf Feuer zu schließen.

Dies sind also wieder zusammengetragene Satzfetzen, die der Tag an den Stacheldrähten festgeheftet, die jetzt unsere Telefonleitungen geworden sind. Das werde ich einmal als allererstes tun, ach wie oft dies schon vorgenommen, aber das werde ich nun wirklich demnächst einmal tun.

Am Morgen einen Krawattenpapa gesehen am Moltkeplatz, das Kind und „komm jetzt“ hinter dem her und „beeil Dich ein bißchen“ und ich auf dem Fahrrad. Dann sah es im Wülfel-Stadtteil aus, als hätte Poco Domäne in jede Ecke gekotzt, der Sperrmülltag, der auch einmal ein Fest gewesen, als die Leute noch ganze Klaviere an die Straßen stellten und es des Nächtens bereuen mussten, wir waren gute Pianisten und betrunkene auch noch dazu. Doppelt also deshalb. Im Supermarkt war an diesem (Donnerstag) die Musikrieselanlage ausgefallen: Gleich viel konzentrierter einkaufen gekonnt. Am Mittag die Wohnung besichtigt (a.a.O.), die Frau die Ihr großes Herz an einem Riemen um den Hals vor dem Bauch herträgt, es blinkt mit Dioden grün und orange und Engel malt sie auch bereits: Die fremden Leben, die manchmal einem viel zu nah kommen. Über die Brücke unter der die Güterzüge. Jetzt sind auch die Wespen, die Mauersegler aber schon wieder fort.

Am Abend dann, wo die Eilenriede an den Lister Platz gelangt, eine hippe Sorte Krawattenpapa, ein Kleiner auf dem Kinderrad und „stell Dich mal da hin jetzt“ an der Ampel, mit der hippen Lufthansa-Schultertasche im Retro-Look von Tchibo. So lernt ein jedes was zu tun ist und wo es hingehört, noch ohne Krawatte.

Dein Buch habe ich mit Brombeerfarbe markiert, heute (der übernächste Mittwoch) morgen in der U-Bahn, als ich es im Rucksack mit mir trug. So soll es mich nun immer dran erinnern, an den Tag, nachdem wir zum CocoRosie-Konzert in Bremen waren. Die Recherche, die ich sehr lange mit mir trug und die auch in drei Ländern war, wenn ich es richtig zähle, sieht auch sehr gelesen aus und bearbeitet. Zuvor the Catcher, Olivenöl vom Couscous-Salat und eingerissen an der einen Ecke, eine merkwürdige Ausgabe mit einem herzlosen Dr.-Phil.-Vorwort.

Dazu später.

(Der Montag vor dem Mittwoch) (Aus dem Notizbuch): (2.9.) Im Hotel sind diesmal die Trockenbauer und in New York das gleiche Wetter wie in Bremen, nur ein paar Stunden früher noch, wie die Live-Übertragung der US Open zeigt. Himmel bedeckt mit Wolkendunst. Nachher gleich das Konzert. Hotel am Rembertiring, in der Nacht wird die Uhr vom nahegelegenen ~Stift die Viertelstunde mit einem Schlag geben, die halbe mit zweien, die ¾ mit drei und die volle dann mit vier, gefolgt vom Stundenschlag, der mit einer dunkleren Glocke gegeben wird. Am Abend mit der Linie 3 vom Ulrichplatz aus gefahren, irgendwo nähe Rathaus ausgestiegen. Bei McDonalds „I would do anything for love (but I won’t do that)“, das Allerüblichste also. Darüber tatsächlich froh gewesen.

Die Kesselhalle im Schlachthof, zum zweiten, nach dem wundervollen Notwist-Konzert im Februar 2009. CocoRosie auf der Bühne mit Gärtner und Human Beatbox und dekonstruierender Freakshow-Poesie mit viel Verkleidung und wunderschöner Musik. Der Ort dank der schrägen „Sitzwand“ vor der Bühne und an den Wänden verteilten Balkonen ein idealer Platz für Konzerte, da hier auch tatsächlich das, was auf der Bühne passiert, gesehen werden kann; Der Clown im Gestrüpp und am Strand, ein Socken-Penis, Liveprojektionen von an den Mikroständern angebauten Kameras, die mit schwarzen Balken überschminkten Münder der Sängerinnen, VHS-Standbilder und. Klavier und Querflöte und Spielzeug das Töne hervorbringt.

In wenigen Minuten erreichen wir Nienburg (Weser). Wie man bei den Ansagen im Interregio immer die Klammern um die Regionen mithören kann, auch die Abkürzungen: Oldenburg (Oldb.). Am Rbge. Neben uns auf der Vierergruppe im Zug eine versoffene Alte, die vor sich hinschnarcht, als wir losfahren, dann vom Schaffner geweckt wird und sich nun im Selbstgespräch die Welt wieder zusammenreimt, begleitet von viel Schnaufen und Stöhnen.

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Auf dem Schlachthof-Schornstein das neue Windrad, mit dem, Radio Bremen berichtete darüber, das Kulturzentrum 400 Wäscheschleudern betreiben kann. Gestern nach dem Konzert mit dem Bus 25 zurück, zu Fuß ins Café Engel vor dem Steintor. Für ein stilles Gespräch, bevor wir ins Hotel gehen und noch in ein Tennismatch hineingeraten, das mitten in der Nacht live aus New York kommt. Den nächsten, späten Morgen Frühstück in der Bäckerei schräg gegenüber dem Weincafé, auf der anderen Straßenseite. Der Promotionstand von Ärzte ohne Grenzen, an dem die jungen Menschen gestern langfristig Spender suchten, ist heute verschwunden. Ich erzähle, dass ich von den Hunden geträumt habe, die wir gestern am Nachmittag vor dem Penny gesehen hatten. Dann fotografiere ich einmal die Straße hinunter, im vorbeigehen und aus dem Handgelenk.

DSCN2762DSCN2763DSCN2764Häuser mit verzierten FAssaden, Oberleitungen, grauer Himmel in BremenDSCN2768DSCN2772DSCN2776DSCN2777DSCN2782

Die Straßenbahnen ruckeln über das Kopfsteinpflaster und den Himmel grau, aber kein Regen heute. In einem Antiquariat werden diverse Literaturen zum Thema Tantra und Karma Sutra angeboten, dekoriert mit Barbie und Ken in einer entsprechenden Konstellation, die enttäuschende Liebe der Plastic-Figuren. Dazu ein Ausstellungskatalog aus den späten 70ern über die Architektur der 20er Jahre d. l. Jh., ein Prachtband „Germania“ sowie das Bremer Telefonbuch von 1962. Am Platz, an dem sich die Straße aufgabelt in Sankt-Jürgen-Straße und Am Schwarzen Meer, welch wundervoller Straßenname das ist, nehmen wir die 10 zum Hauptbahnhof. Uns gegenüber darin eine Frau mit silbrig-violettem Haar, dann in den Zug (und nun bereits wieder bald Zuhause). Aber was, wenn „später“ „nie“ bedeutet?

Fragmentarisch

Gestern in der Mittagspause einen Mäusebussard gesehen und einen Storch. Am Abend lief ein Eichhörnchen über die Straße, auf der ich mit dem Fahrrad nachhause fuhr. Gestern eine Aufnahme gemacht von den Zügen, die hier vorbeifahren, denen ich tagaustagein zuhören könnte, zwei Häuserzeilen hinter der Firma die

Den Dienstag am Emmichplatz gewesen, dann mit einer der besten Buslinien, 200, zum Moltkeplatz gefahren. Verschiedene Gerüche von Zitronenseife. Am Treibhaus vorbeigefahren, in Gedanken, die nicht wiederkehren. Dann zu einem Supermarkt gelaufen, es ist warm und vor der Tür liegt ein Hund platt auf dem Boden. Ein Mann kommt aus dem Laden, sagt „Dir ist ja warm, ne?“ zu dem Hund, der ihn nur mit den Augen ansieht, von unten. Fotos gemacht von diesem Hund, Plakaten für politische Vorträge und (unpolitische) Malkurse, einer Schuttrutsche.

Den Mittwoch beinahe in der Maschine eingeschlafen, nur noch die Beine schauen hinaus in die weite Welt.

Den Donnerstag, der Mann in der Bahn, mit seiner Frau als Begleitung, beständig den Kopf schüttelnd, darauf eine Mütze mit Marine-Emblemen.

Die große Hitze scheint vorüber, gut überstanden all das, kleine Ventilatoren am Abend in den Fenstern, der Sturm hat am Kanal eine Weide umgeworfen, als wir den Freitag dort waren, da war sie abgesägt und die Sonne schien mir auf den Nacken zur Seite. Kleine Schwäne am Ufer, die Jungen kommen und vertreiben sie, oder es ist weil an der Brücke gefüttert wird, sie schwimmen dort hin. Dann angelt ein Junge, es wird nicht so recht, zu ungeduldig ist er noch und die Leine verheddert sich in der Uferböschung Gestrupp. Später springen sie von dort aus wo sie sind in das Kanalwasser. Eine Abgrenzung der kleinen Entenbuchtung, die dort ist, ganz von Wasser bedeckt, so sieht es ein wenig aus als würden sie über das Wasser laufen können. Sie sind vom Sommer ganz braungebrannt und den ganzen Tag draußen, dass man froh darüber sein kann. Sehr heiß ist dieser Freitag gewesen, aber es ist eine so trockene Hitze, dass wir es gut draußen aushalten. Vom Freiband kommt die Durchsage das nun geschlossen wird, am Abend um Acht.

Der Samstag auf dem Markt, Stachelbeeren Blaubeeren Johannisbeeren.

Nachher vielleicht einmal die Ton-Aufnahmen von den kürzlich unternommenen Reisen anhören. Es eilt alles nicht so sehr. Es verdichtet sich zuweilen etwas, auch herrscht ein Mangel an Gelegenheit, die Erlebnisse rechtzeitig zu notieren, so gerät vieles in die Vergessenheit. Bunte Träume: Ich bin ein Taucher und soll etwas aus einem versunkenen Frachtkahn bergen, der in der Gracht liegt. Es wird erzählt, dass die Leute noch eine Woche lang dort eingeschlossen waren, aber in einem Raum sich aufhielten, in dem kein Wasser eingedrungen war. Das Dach des Schiffes befindet sich einen Meter unter der Wasseroberfläche. Ich tauche kurz dort hinein und schwimme durch ein Fenster ins Innere, wo ich ein kleines Mädchen treffe, das eine Schatzkiste in den Händen trägt. Sie erzählt mir, dass sie den Sauerstoff, den sie zum Überleben braucht, aus den Geldscheinen bekommt, die in der Kiste sind und hällt sich einen Geldschein vor den Mund, dann bin ich in einem Zug, wir sind in einem Zug, wer auch immer wir jetzt sind, an einem Bahnhofskiosk kaufe ich eine Packung „Chewing Gum“, ich kaufe es auf Französisch, ich nehme also an, wir sind in Frankreich unterwegs und ich sage auch „Schuuing Gomme“, natürlich, mit kaum hörbaren E.

Über vergessene Milch soll man nicht jammern

Als ich den Weg über die Brücke gemacht habe, gestern, kurz verstanden wie das ist mit dem Wollen, dem Nichts-Wollen und dem nicht wollen und wie sich das zur Ewigkeit verhält, dann sofort wieder vergessen, aber es ist alles ein wenig besser jetzt. Die Straße weitergegangen zu den Häusern, das Hotel an der Ecke, ein wenig ferner das Pagodendach, hinter Bäumen und einem Industriebetrieb gelegen. Ich bin diese Straße oft gegangen, habe einmal hier in der Nähe arbeiten müssen, dazu gibt es auch eine Geschichte. Das ist sehr lange her und damals ist es mir nicht so aufgefallen, in welch einer Gegend der Stadt, die in großen Teilen von einer so berückenden Profanität ist, wir uns hier befinden. Am Mittag sehe ich im grauen Mittelfeld einen Mann auf Fahrrad, mit einem über den Kopf beladenen Anhänger, der ist bestückt mit einem Lampenschirmgestell, einem Vogelkäfig und ähnlich filigranen Metalldingen. Das frisch geschnittene Gesträuch steigt mir in die Nase, alles Erinnerung an die Zeit, welche blos. Das Ende der Straße liegt im Dunst und jeder zweite Laden sagt mir Toto Lotto. Am Nachmittag, zurück im Bureau, kurz dem Charme des ß erlegen. Gestern in der Nacht geträumt, ich würde in eine Zeitungsdruckerei schauen, die Laufbänder an denen die Zeitungen hängen und auf denen sie liegen, die Konfektioniermaschinen mit den von unten belüfteten Rollflächen, kleine Kugellager die durch Luftdruck nach oben gedrückt werden, dass alles kenne ich ja ebenfalls von einer anderen, früheren Arbeit, jetzt im Traum erwschien mit diese wie nur erträumt, so lange her ist es schon, diese Druckerei jedenfalls war sehr verrostet und nicht mehr in Betrieb, so weit ist es schon mit dem Zeitungssterben, ich wollte ein Foto machen, um es bei Rost hochzuladen, hatte jedoch die Kamera nicht dabei (häufig schon, im Traum, Fotos angefertigt und dann, manchmal noch während des Traumes, manchmal wenn wieder wach, ein wenig Traurigkeit das ich sie nicht auf der Speicherkarte finden würde). Ich blicke also aus dem Fenster, während über mir der große elektrische Rechenschieber immer mehr noch speichert, ich sehe wie die Gebäude so sind, mit ihren teergepappten Bedachungen und den Schornsteinen, den kleinen, aus denen sie weißen Dampf heizen in die noch kalten Himmel Ende Februar, die den Zügen zuwinken, gleich zwei Luftsprünge weiter, die hier vorbeifahren von der Stadt und zu der Stadt, (Und die Bahngleise, an denen ich langlief, der ICE mit dem Graffitti darauf, der das Zeichen durch das Land fährt, das Zeichen einer Anonyma, und leider ist die Industrie nicht mehr vorhanden und im Eisenwerk kein Eisen mehr,) denke ich an diese Zeile, 1998 ca., Der Zug, der Silber und Rot durch die graue Stadt fährt, wie ein Vorzeichen der Jahrtausendwende, dem Fluße hinzu fliegt aber der Kranich mit weiten Schwingen und langem Hals.