Ob Wasser Strom leitet

Am Morgen an der Haltestelle nimmt eine Chinesin das Gezwitscher der Spatzen auf, die im Busch an der Hausecke sitzen allesamt. Reet an den Schienen. Ein Plakat bewirbt den „Circus Mirage“. Mittags, als wir den kurzen Spaziergang machen, sitzt einer der Staplerfahrer auf dem Gulli, der etwas erhaben aus dem Boden kommt, die Cola-Flasche, auf dem Boden abgestützt, locker in der rechten Hand. Der erinnert ein wenig an eine Buddha-Gestalt. Schläft er? Am Abend reden die Jugendlichen in der Bahn über den an diesem Tag verstorbenen Karl Lagerfeld, um nahtlos überzugehen in eine Diskussion in der es darum geht, ob Wasser Strom leitet – ein Junge ist davon überzeugt, dass es das nicht tut und eines der Mädchen versucht vergebens, ihn vom Gegenteil zu überzeugen.

Nun ist seit über einer Woche bereits der Sturm in der Luft, immer wieder Regen. Auf dem Feld sehen wir an einem Morgen vier Reiher. Grau wie nasser Zement liegt dann der Kanal am Abend in seinem Bett. In einem Schuhgeschäft mit dem Namen Rheingold gewesen, schwarze Schuhe gekauft. Ich musste dann noch den Knopf an den Mantel annähen, dabei darüber nachgedacht, wer mir das mit dem Streichholz beigebracht hat: Damit der Knopf gut durch das Knopfloch passt und nicht zu eng am Stoff angeheftet ist, wird zwischen die Fadenlöcher im Knopf ein Streichholz gelegt, um welches dann die stiche geführt werden. Wenn der Faden vernäht ist, einfach das Streichhols hervorziehen und zurück in die Schachtel legen, die im Nähkästchen aufbewahrt wird.

Donnerstag gratis

Ich bin noch nicht angekommen im neuen Jahr, die Zahl, wenn ich sie aufschreibe, fühlt sich noch fremd und abstrakt an, als wäre es noch nicht wirklich so. Die Neun schreibe ich nicht besonders gut, wenn ich sie handschriftlich notiere, etwa auf dem Freigabeformular einer Korrekturfahne. Es ist ein allerschönster Regen hier seit Jahresbeginn, der tatsächlich bereits in der Silvesternacht begann und sich seitdem, mit größeren oder kleineren Unterbrechungen, fortsetzt. Die Himmel tragen ein grau und die Wolken beginnen bisweilen direkt über dem Erdboden, sodass man gewissermaßen durch den feinen Niesel der Regenwolke selber läuft, etwa auf dem Weg zu einer Bushaltestelle. Das alles wird noch wahrer werden.

Ambitionierte Projekte liegen vor mir in diesem Jahr. Die kaputte Glühbirne im Flur austauschen. Das Bügeleisen immer ausmachen. Weniger Wut.

 
Immer wieder Regen, auch am gestrigen Sonntag, der fast durchgehend, auch heute wieder, dann weht der Wind über die Brache gegenüber von meinem Büro draußen in der Einflugschneise. In der Mittagspause zwei größere Wasservögel in der Luft.

In der Nacht geträumt, dass zwei meiner Gedichte auf der Gedichteseite der Fernsehzeitung veröffentlicht werden sollen, die den Tageszeitungen am Donnerstag gratis beiliegt. Ich halte ein gedrucktes Exemplar in der Hand, das erste Gedicht kenne ich nicht, dann merke ich erst, es ist garnicht von mir. Meine beiden Werke stehen zweispaltig nebeneinander, das eine ist streng rechteckig gesetzt und enthält, daran zumindest erinner ich mich, eine Zeile unverständlicher Zeichen, etwa so:

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auch das zweite Gedicht ist besonders, vor den Buchstaben ragt ein kleiner metallener Käfig aus der Seite heraus, ungefähr 1½ cm erheben sich die feinen Stäbe vor der Seite. Leider kann ich mich nicht an den Inhalt erinnern.

In einem Supermarkt liegen dann neben der Eingangstür mehrere Exemplare der letzten Ausgabe. Ich wusste bis dahin nicht, dass diese Fernsehzeitschrift eine Gedichteseite hat und nehme eine Zeitschrift. Jemand hat hier ein Gedicht veröffentlicht, welches auch mit einer winzigen Skulptur einhergeht, die auf erstaunliche Weise in den zugeklappten Zeitschriften verschwindet — ein an einen an der Wand anzubringenden Kleiderhaken erinnernder Stab aus Metall, der am oberen Ende eine Auskerbung hat, an welche der Kleiderbügel gehängt werden könnte, der allerdings in diesem Fall nur wenige cm, vielleicht 5, breit sein dürfte. Dahinter verbirgt sich ein Scharnier, denn das obere Ende lässt sich hochklappen und sodann ertönt ein Geräusch wie von einem elektrischen Türöffner in einem Mietshaus [aufgew.].

[Fastgeister]

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Heute, also 11 Monate und einen Tag vor dem nächsten Weihnachtsfest, war dann zu bemerken, welchen Geruch das neue, noch ganz frische Jahr mit sich bringt, es ist noch gänzlich unbeschadet, aber nun kann es auch nicht mehr zurück in den KArton gelegt werden. Es war als ich an der Haltestelle Spannhagengarten stand, aber wie soll ich denn den Geruch des neuen Jahres beschreiben? Vielleicht wie nasses Papier, dass an einer Straße steht und wie der Wind, der vom Meer kommt und wie der Regen am Abend, ein Bus, noch mit Dieselmotor, der gegenüber auf der anderen Straßenseite noch anhält, es gibt sie ja schon garnicht mehr, ein wenig wie das Thema dieser Musik noch dazu, die gelöscht sein wird, vielleicht, das nächste Mal wenn Du auf den Verweis klickst und wie der kühle Morgen in der Stadt am Mittelmeer, wenn der Blumenladen noch seine bemalte Rollade heruntergelassen hat, hör mir gut zu Du grüner Vogel. Das Alles ereignete sich plötzlich und so stand ich nun dort, mit all diesen Erinnerungen, die keinen genauen Ort mehr haben und deshalb fast schon selber Geister sind.

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Allerdings ein Schwarzweißfilm, die brauchen immer etwas länger und dann der Feiertag

Als ich gestern am Morgen unten in der U-Bahn-Station war, hörte ich, wie ein Junge den Vater fragte, warum sie eine Fahrkarte kaufen müssten. Der Vater antwortete, weil sie sonst Strafe zahlen müssten, wenn eine Kontrolle käme.

Dann ging den Tag über der große Sturm über das Land. Im Büro saß ich und sah die Wolken über den weiten Himmel dahinjagen und wie die Flugzeuge sich in der Einflugschneise gegen den Wind stemmten. Die hohen Moorgräser auf der noch zu bebauenden Gewerbegebietsfläche wogten hin und her mit den Böen und die gerade vor ein paar Jahren gepflanzten Bäume auf dem Firmengelände bogen sich, aber fielen nicht. Nach der Mittagspause dennoch der übliche Gang um das halbe Gebäude, an der Kantine hinaus auf die Terrasse, an den blauen Mülltonnen vorbei, auf deren Deckel Gewegplatten gelegt sind, der wilden Tiere wegen, die sonst die Kantinenreste wegplündern würden, ein Frettchen habe ich neulich schon gesehen vom Bürofenster aus, die werden sich aber alle noch zurückziehen, wenn einmal alles bebaut ist. In der Gemeinde lag die FDP bei der letzten Bundestagswahl bei 15,5%. Der faschistische Kandidat heißt Friedhof oder so ähnlich. Der macht’s nicht mehr lange.

Am Nachmittag meldete sich Frau L. aus der Küche auf ihrem Nachhauseweg bei Frau F. vom Empfang , woraufhin diese eine Rundmail schrieb, dass die Verkehrsbetriebe den Verkehr (nicht den Betrieb) aufgrund des Sturms eingestellt hätten, woraufhin bei Twitter mitverfolgt werden konnte, wie schnell die Einsatzkräfte die umgestürzten Bäume und abgerissenen Äste von den Schienen räumten. Auf dem oberen Abschnitt meiner Linie ließ eine Freigabe jedoch auf sich warten, Kollege M. hatte sich aber schon angeboten, mich mit dem Auto mit zurück in die Stadt zu nehmen.

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An der Schlägerstraße stieg ich dann in U-Bahn. Kurz vor Endpunkt fragte ein Mädchen seine Mutter, warum die Scheiben der U-Bahn so zerkratzt wären. »Das waren Jugendliche« »Warum machen die das?« »weil ihnen langweilig ist«.

Am Abend beim Drogeriemarkt dann endlich die letzten Fotos abholen gekonnt. Der Film war bereits in der Kamera, als wir in den Urlaub flogen Anfang September. Allerdings ein Schwarzweißfilm, die brauchen immer etwas länger und dann der Feiertag. Das erste Foto war eines von Freund K., welches ich bei ihm im Garten aufgenommen hatte an einem Tag im Sommer. Dem Protokoll unserer fernschriftlichen Kommunikation zufolge könnte es am 3. Juni gewesen sein. Ein paar Fotos weiter eine Aufnahme von M., K.’s Schwester. das war am 26. Juni. Café am Bahnhof. Das ist so lange her alles.

Die Geschwindigkeit von Schall

Heute in der Nacht, als ich das zu Schreibende soweit vorangebracht hatte, dass ich zufrieden war, obwohl ich nicht im Geringsten weiß, ob es so funktionieren kann, da hatte ich noch einen anderen Text auf den Fingerspitzen. Der jedoch ist nun verschwunden, weil ich ihn nicht gleich in einen Artikelentwurf hineinschrieb. Aber das macht nichts. (8. Juli)

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Luftröhre, Sonne, Knollenblätterpilz,
Glaube Liebe Hoffnung,
fünf gefaltete Adressaufkleber und eine Meerschaumpfeife:
1 Fach, in welchem 2 finger­lange Engel hausen.

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Immerzu wollen Verbindungen herstellen, dabei können auch Dinge einfach so beeinander stehen und müssen nicht das Geringste miteinander zu tun.

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Was es für Bilder sind, die einen in den frühen Schlaf begleiten, wenn im Fernsehen noch eine Sendung über z.B. Supernovae läuft.

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Das Bild habe ich mit Textmarker und Edding auf den Umschlag gemalt, in dem der Steuerbescheid für das Jahr 2016 mich kürzlich erreichte. Es ist für den Preis von 519,- € zu erwerben (Rahmen von Rossmann inkl.)

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In einem weiteren Traum, letzte Nacht, folgende vertrackte Raumsituation: Wir waren umgezogen in eine neue Wohnung und ich ging, nachdem wir bereits eingezogen waren, zum ersten mal in den Keller. Der stellte sich als sehr geräumig heraus und aus einem großen Giebelfenster hatte man einen schönen Blick auf den Maschsee. Das erklärte sich daraus, dass das Haus kompliziert an den Hang gebaut war. Jedenfalls war hier alles sehr wohnlich, vor dem Fenster befand sich ein Bett und es stand auch ein Bücherregal an einer Wand, welches diverse großformatige Fantasy-Chicken enthielt. Das alles waren Dinge, die wir vom Vormieter überlassen bekommen hatten. Leider stellte sich heraus, das in einem über Eck mit dem anderen Raum verbundenen Teil des Kellers statt einer Wand ein Absperrband zu finden war, welches den Keller von einem benachbarten Markt abtrennte. Zuerst war nur ein Angestellter dort, der etwas verwundert war, mich zu sehen und dem ich noch erklären konnte, dass wir jetzt die Wohnung inkl. Keller gemietet hätten. Der Vormieter hatte nämlich diesen Teil des Raums dem Markt überlassen, der ihn als Verkaufsfläche oder Lagerraum nutzte. Jedoch gehörten auch alle sich hier in den Regalen befindlichen Bücher desselben Formats wie in unserem Regal nun uns, dessen war ich mir sehr sicher. Ich weiß, dass ich auch hier wieder mehrere der Titel las, aber ich kann mich nach dem Erwachen wiederum an keinen einzigen erinnern.

Ich überlegte noch, wie ich es anstellen könnte, diese unschöne Situation mit der offenen Wand bspw. mit Rigips-Platten zu beheben. Der Markt hatte aber inzwischen geöffnet und bald kamen die Kunden auch in unseren Teil des Raums gestapft, so dass ich meine liebe Not hatte, ihnen begreiflich zu machen, dass dieser Teil ab sofort nicht mehr zu dem Laden gehörte. Zum Schluss schrie ich einige an, sie sollten jetzt hier verschwinden, kam dann aber auf die Idee, schnell ein paar Schilder aufzuhängen, die ich z.B. mit einem dicken Filzstift schreiben wollte — ab sofort gesperrt, Privat, bitte nicht betreten usw. – es fand sich aber auf die Schnelle weder der passende Stift und statt Papier lag auch nur ein Stapel alter Tageszeitungen in einer Ecke auf dem Boden, auf denen ich diese Hinweise wohl nicht glaubwürdig würde notieren können.

Aber der Ausblick auf den See war wirklich sehr schön. (23. Juli)

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Mit dem Finger so Linien nachzeichnen wie bei ganz nebenbei angefertigten Telefonkritzeleien.

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In dieser Nacht gab es glaube ich auch ein Gewitter. Mir kommt das widersinnige an dem Wort „Blitzlichtgewitter“ in den Sinn, denn warum sollte an einem Gewitter betont werden, dass es blitzt? Es ist wohl vielmehr ein Wort, in dem das Phänomens der Blitze deshalb betont wird, um zu behaupten, dass es sich, trotz des fehlenden Donners, doch um ein Gewitter handele.

Ich zähle, 21 — 22 — 23 –, wie weit entfernt der jeweilige Blitz niederging, während ich inmitten des Spektakels liege. Die Mutter hatte mir einmal erzählt, dass jede Sekunde einen Kilometer Entfernung vom Blitz bedeuten würde. Der Schall hat aber ja eine Geschwindigkeit von ungefähr 340 m/s, was bedeutet, dass der Kilometer mit drei Sekunden gezählt werden müsste. Auch daran habe ich gedacht.

Die Schallgeschwindigkeit in trockener Luft von 20 °C beträgt 343,2 m/s (1236 km/h).

Der merkwürdige Gegensatz zwischen dem so plötzlich sich ereignenden Blitz und dem dann später, also je nachdem, aufgrollenden Donner, bei dem ich bestimmt hören konnte, wie er sich von einem Horizont zum anderen ausbreitet und dabei nach allen Seiten ausdehnt, sich gleichzeitig aber verändert und dann, zum Schluss, fast unmerklich langsam wieder verschwindet.

 

 

 

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Heute am Morgen, auf dem Weg zur Bahn, rollt mir am Hochbahnsteig ein Mann im Rollstuhl entgegen, der offenbar aufgrund seiner Körperfülle nicht laufen kann. Er spricht mich an, Entschuldigung, wissen Sie ob hier ein Optiker in der Nähe ist? Ich habe nur eine Vage Ahnung, deute in eine Richtung und sage ihm das so. Seine Brille ist aus hellbraunem Glas. In der Bahn einer mit einem ROllator, am Hauptbahnhof auf dem Bahnsteig, wo ich zehn Minuten warten muss, weil ich wieder viel zu früh dran bin, steht einer mit einem sehr großen Elektroscooter in dunklem Rot. Alles kann ein Zeichen sein, etwas bedeuten.

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Gerade, beim fertigstellen der Blitz-Illustration im Grafikprogramm, starkes Déja-Vu über mehrere Sekunden. 21 — 22 — 23 —

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Geburtstagseinladung von T. via WhatsApp-Gruppe / Bei Doctor Who tatsächlich in dem Augenblick weggenickt, als gerade alle aus vollen Rohren auf den Dalek schießen / Nach dem Termin geschaut, wie weit es mit dem Fahrrad wäre und wie man gut dahin kommen würde. Es wären 15 Kilometer, einen guten Teil der Strecke (bis kurz nach der Noltemeyerbrücke) könnte ich am Kanal langfahren.

Elfmeterschießen

Ein halbes Pfund Lakritze & auf Insta Bilder aus dem Neandertal. Ich bin der Fisch im Trüben, mein Fahrrad parkt an der Laterne da vorn. Die leuchtet ihr gelbes Licht auf die ölige Straße herab.

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Der letzte Dienstag war ein geklauter Dienstag, jedenfalls ab 12 Uhr ungefähr. Wir waren dann am Nachmittag wieder einmal im Hochhaus-Kino, welches jedoch nach wie vor im Parterre stattfindet. Nur statt dem Sammelsurium teurer Sessel hat man sich mittlerweile für die unbequemsten entschieden. Sind inzwischen ja routinierte Müßiggänger, wenn wir mit den Rentnern in die Nachmittags-Vorstellung gehen. Ein Kuss von Béatrice mit einer tollen Catherine Deneuve, die ich zuletzt in „Das brandneue Testament“ gesehen habe, an Karfreitag 2016, wobei entweder das КИНО auf Risiko spielte und den Film trotzdem (gerade deswegen) zeigte, oder aber die Moralzensurbehörde es versäumt hatte, den Film auf den vermaledeiten Feiertags-Index zu setzen. Ich wollte immer eine Kritik dazu schreiben, die aber bisher nicht zustande kam. Jedenfalls so ein toller Film ist es, dass er eigentlich am Karfreitag nicht gezeigt werden dürfte, ginge es nach der Obrigkeit und der Katholischen Kirche.

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„Ein Kuss von Béatrice“ ist auch ein toller Film, in dem Catherine Frot zeigt, dass sie der Deneuve jedenfalls durchaus den Whisky reichen kann. Gut, dass ich mich nicht davon irritieren ließ, dass die Elle den Film auch gut fand, wie der Trailer vermeldet. Das Schöne an dem Film jedenfalls ist, oder das Besondere, vielmehr, das einerseits der grundlegende Konflikt nicht weiter erklärt wird, denn es ist einfach viel zu lange her. Auch gut, dass das bittere Ende nicht gezeigt wird. Wir wissen alle, was passieren wird, aber es ist nicht notwendig, hier ins Detail zu gehen.

Danach weiter mit dem Rad durch die große Baustelle, die sich seit Neuestem vom Steintor bis zum Clevertor erstreckt und die Stadt so schön improvisiert erscheinen lässt, an dieser Stelle. Kabelstränge hängen, an Holzmasten befestigt, über die Fahrbahn. Die Frau im Da Piu erzählt, dass sie die Weinstöcke Anfang der 80er eingepflanzt hat. Die blonden Frauen neben uns am Tisch zeigen Fotos ihrer vergangenen und zukünftigen Hochzeitskleider auf ihren Smartphones. Dann holt die eine einen Beutel Tabak raus und dreht sich eine Zigarette und ich bin überrascht, wie schnell ich mir ein Urteil erlaube und wie wenig es braucht, dies wieder in Frage zu stellen.

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Auch am Donnerstag vibriert die Luft vor Ambivalenzen. Seit 12 Uhr hängt das Gewitter im unentschiedenen Himmel und wartet auf das Elfmeterschießen. Später Gesprächstermin am frühen Abend, danach treffe ich mich mit R. und F. im Biergarten an der Yachtschule. Drinnen geschlossene Gesellschaft, stellenweise Applaus für irgendwas auf der Außenterrasse. Wir sitzen unter einen Schirm, der aber, wie sich bald herausstellt, keinen Schutz gegen wolkenbruchartigen Regen mit eher horizontalem Verlauf bietet. Kalt ist es nicht, aber mein Hemd ist bald vollkommen durchnässt. Als ich einmal auf die Toilette, die sich der Biergarten mit der Restauration teilt, gehe, halte ich Herbert Schmalstieg, dem ewigen Bürgermeister, die Tür auf, der mir von drinnen entgegenkommt. Aber wir trinken trotz Unwetter noch die Biere aus und laufen dann den Altenbeckener Damm hoch zur Haltestelle, als das schlimmste Unwetter vorüber ist und versuchen nicht in die matschigen Pfützen zu treten. R. zählt weiterhin – 21 – 22 – 23 – – wie weit das Zentrum des Unwetters von uns entfernt ist.

Karteikarten

Am Vormittag die Mappe, in welche die Beraterin beim Bildungsträger die Werbung usw. hineingetan hatte, zu Karteikarten zerschnitten, wie ich sie zur Ordnung der Fotoabzüge brauche. So wird alles wieder verwendet und geht von einem Ordnungssystem in ein anderes über, zu dem es wohlmöglich sogar in Opposiotion steht, aber das würde jetzt zu weit führen.

 

Die Kartoffeln, die ich schälte, hatte ich auf dem Markt gekauft am letzten Mittwoch. Sie sind allesamt etwas nierenförmig gewachsen, so dass das Schälen der nach innen gewölbten Seite recht schwierig war.

Nachmittags nach Linden gefahren und wieder zurück. Die Stadt brummt und es ist warm. Wie üblich fahren alle auf die Kreuzungen, sobald es grün ist, was im Endeffekt noch viel größere Staus verursacht. Sobald jedoch ein Mensch im Auto am Steuer sitzt, besteht nunmehr nur noch die eingeschränkte Fähigkeit, die Mitmenschen wahrzunehmen oder das kleine Einmaleins anzuwenden.

Als ich zurückkam, fing wieder der Regen an. Habe jetzt mithilfe von Ventilatoren die Wohnung um 0,5 Grad herunterkühlen können. Auf dem Dachfirst gegenüber eine Dohle. [30.5.2017]

Auskristalisierungen

Die Formulare der Steuererklärung gehören zu den reinsten Auskristalisierungen des Staates, die wir kennen. Sie sind die verschlossenen Türen eines geheimen Wesens, dass sich hermetisch gegen seine Ernährer abzugrenzen sucht. Es ist nicht alles schlecht, aber dass diese Papiere in einer Geheimsprache verfasst sind, ist faul und stinkt. Worte wie Spendenvortrag, Verlustrücktrag, Opfergrenzenberechnung sind spitze Stacheln des Drahtes, der um das Gebilde aus Obrigkeitshörigkeit und Bürokratie geschlungen ist.

 

Wenn die in allen Gesellschaften nötige „Administration des menschlichen Lebens“ (Stonebridge) in so etwas wie bürokratische Prozesshörigkeit umschlägt, wo das Einhalten des Prozesses über dem individuellen menschlichen Leben steht, dann haben Institutionen das Denken der administrierenden Menschen ausgeschaltet.

Die Bierwerbung im Fernsehen, in der zwei gleich aussehende Gläser mit gezapftem Bier nebeneinander stehen und als abschließende Geste eines der Gläser mit einer sicheren, akurat ausgeführten Bewegung so positioniert wird, dass schlussendlich beide Embleme genau auf 90 Grad ausgerichtet sind und dem Zuschauer in einer perfekten Symetrie präsentiert werden.

Wenn eine Angelegenheit sehr lange erwogen worden ist, kann es, auch ohne daß die Erwägungen schon beendet wären, geschehen, daß plötzlich blitzartig an einer unvorhergesehenen und auch später nicht mehr auffindbaren Stelle eine Erledigung hervorkommt, welche die Angelegenheit, wenn auch meistens sehr richtig, so doch immerhin willkürlich abschließt. Es ist, als hätte der behördliche Apparat die Spannung, die jahrelange Aufreizung durch die gleiche, vielleicht an sich geringfügige Angelegenheit nicht mehr ertragen und aus sich selbst heraus, ohne Mithilfe der Beamten, die Entscheidung getroffen.

Als ich am letzten Donnerstag eine vergessene Regenjacke in die Nordstadt fuhr: Die Menschen im warmen Regen wurden plötzlich zu Gestalten ihrer eigenen Poesie, auf Fahrrädern, oder zu Fuß, im weißen T-Shirt oder in der Regenjacke, mit Regenschirm oder auch ohne, manche mit ganz nassem Haar. Vielleicht wie in einem Film, in dem es auch um Mairegen ginge.

Der Sturm ist schon in der Luft

den ganzen Tag über. Durch den Regen mit dem Fahrrad, zunächst zum großen Supermarkt an der großen Straße, dann auf den Mittwochs-Markt. Verschiedene Gemüse, Eier, Fisch, Kartoffeln (Belana und Süßkartoffeln). Wie anders die Leute hier miteinander sprechen. „Was hat sie jetzt da liegen“ sagt der Händler zu der Kundin und dann zählt sie es ihm auf, sich selbst noch einmal in Erinnerung rufend, was sie jetzt kaufen möchte, „Petersilie hat sie noch da“ , ergänzt er die Aufzählung, die kaufe ich dann auch, glatte. Der noch sanfte, kleine Regen tropft derweil von den Dächern der Stände. Ich möchte kein Foto machen.

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Als ich gestern diesen Artikel las, musste ich beim im Zitat zitierten „salle des pas perdus“ gleich an die Bahnhofshalle im Groninger Bahnhof denken, daran, wie die automatischen Holztüren beim Aufschwingen klingen, wie selten es ist, das es noch Wartehallen gibt. Davon (neben weiteren Fieldrecordings aus dieser Stadt) gibt es eine Aufnahme.

Neulich, in Oldenburg (Oldb.), saß ich auch in einem Wartesaal, den es in diesem schönen, aus einer anderen Zeit übrig gebliebenen Bahnhof, noch gibt. Charakteristischer Klang in diesem Raum ist das Weiterrücken der Uhrzeiger der großen Uhr über dem Eingang. Davon keine Aufnahme.

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Auf dem Rückweg vom Markt war der Regen dann ein wenig stärker. Später, weil ich keinen Kümmel mehr in der Küche hatte, musste ich noch schnell zu einem weiteren Supermarkt. Hier bereits stärkerer Wind, den ich auf dem Rückweg merke. Der Sturm ist schon in der Luft und wird morgen landen.

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Immer wieder irrlichternde Gedanken im Kopf, wie ein freieres Leben, welches sich ja gerade zeitlich begrenzt zwar ereignet, vielleicht doch möglich sein könnte. Dann sitzt man jedoch am Morgen in der Küche und hört in der Presseschau, wie die Journallie die Agenda-Kosmetik des Schulzen kommentiert und bereits diese lachhaften Wiedergutmachungsversuche, ganz im Sinne der neoliberalen Pest, wegzuargumentieren versucht. Da ist wieder die ewige 40-Stunden-Woche, die wir alle in Zukunft damit verbringen werden, die Robotergetriebe schön zu ölen. Kurze Verzweiflung über all die Dummheit, deren einziger Sinn es ist, das Leben der vielen schwerer zu machen. Die Deutsche Bank werden sie auch retten, nach der Bundestagswahl, weil Systemrelevant etc. pp., denn da gelten die Marktgesetze dann bekanntlich plötzlich nicht mehr.

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Was solls. Den Tag dann hauptsächlich damit verbracht, eine schöne Suppe mit Rindfleisch zu kochen. Ich hatte noch eine eingefrorene Beinscheibe im Kühlschrank. Dabei zurerst die Sendung Brüssel Zentral, dann La France en Duo und dann sogar Urban Landmusik gehört, weil heute einer der Tage war, an dem mir Country-Musik gefällt. Die Wäsche hängt auch nicht mehr auf dem Balkon, der Sturm kann dann meinetwegen kommen.

Holzschutzfarbe

sogar, liegt eine Katze auf dem Verbundpflaster vor der Garage,
der Carport riecht nach Holzschutzfarbe und auch die Grillen
neben dem Splitweg sie singen das Abschiedslied (als wenn
es Morgen niemals geben würde und immerzu)
Sogar auf dem Fahrrad ziehen alle Sommer vorüber.
Es müssen Gräser stehen am Rande der Straßenbahnschienen
viel mehr leuchten und leise summen es könnte doch könnte
doch eine Essenz von Regenwasser
destilliert werden, mit den Gießkannen, es müssten Gräser stehen.
Am Feuerlöschteich, sogar am Zaun und das trockene, gemähte,
neben dem leeren Messeparkplatz riecht, leise, zum Feierabend,
müsste dann das Katzenauge verloren gehen, am Wegesrand,

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