Aus den Briefen – 24 –
Es war schön dort. Ich habe meinen Ausweis verloren und auf dem Weg, ihn wieder zu finden, sind wir an einem toten Schwan vorbeigelaufen, dessen Körper schon fast ganz von Maden bedeckt war. Ein einziges Gewimmel. Ich weis nicht, ob wir den Ausweis wiedergefunden haben, aber ich bin zurückgekommen. Jeden Abend im Lager wurde aus „So zärtlich war Suleyken“ gelesen. Wir hatten ein kleines Segelboot, auf dem das meiste Gepäck transportiert wurde. Sind dann noch nach Gdansk weitergereist. Menschen verkauften Buttons mit dem Slogan ‚Better dead than red‘. Von anderen Menschen habe ich einen Solidarnosc-Aufkleber gekauft und dann, zurück zu Hause, meine Eltern genötigt, den auf das Auto zu kleben, was sie auch bereitwillig getan haben. In Gdansk außerdem Softeis aus einer Maschine gegessen, die sehr alt war, und dann eine Salmonellenvergiftung gehabt. Keine Erinnerungen an die Heimreise.
Aus den Briefen – 23.2 –
Mit großer Freude habe ich Springweg brennt gelesen, insbesondere auch deshalb, weil wir erst kurz davor in U. waren, wie Du ja weißt. An das Hotel wo früher das Duitse Huis war und den Mariaplaats kann ich mich sehr gut erinnern. Ich hatte aber auch das Gefühl, die Menschen, die Du beschreibst, ein wenig zu kennen, von früher, aus einem anderen Leben, vielleicht. Die Art von Menschen. Diese Leute, die einfach in keine Schublade passen. Beim Bürgerradio hier in meiner Stadt habe ich ein paar davon kennengelernt, aber auch anderswo, auf dem Weg. Auch die Sache mit den Gespenstern kann ich gut verstehen. Hier auf meinem Arbeitsweg wurde ja kürzlich ein gruseliges Haus im Moor neben der Müllkippe von Punks bezogen, da musste ich auch an alte und neue Dämonen denklen. ich schrieb einen kurzen Text darüber. Ich glaube aber, sie sind nicht mehr dort, obschon der Bauwagen immer noch auf dem Grundstück steht.
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[Markus Pfeifer (besser bekannt als mequito): Springweg brennt — edition schelf, 2025]
Aus den Briefen – 23.1 –
Es war sehr science-fiction-mäßig. Von einem riesigen, von der Decke eines Ganges baumelnden LCD-Bildschirmquader habe ich ein Video machen müssen.
1.050 km
Aus den Briefen – 22 –
heute nacht habe ich geträumt, auf eine kreuzfahrt zu gehen. es war etwas unklar, ob mit meinen eltern, nur mit meiner mutter oder nur mit b. jedenfalls ging es von hamburg aus los. ich versuchte, mit der gps-funktion auf dem telefon einen screenshot zu machen von der aktuellen position des schiffes auf der elbe. ich wollte den dann auf whatsapp versenden um zu zeigen, wo ich gerade war. es funktionierte so leidlich und ich bekam schließlich eine sardinendose in die hände mit aufgedruckten fanggebieten, wovon ich ein foto machte. hier war zu sehen, wo die russen fischen durften, wo die engländer usw. es dauerte stunden, bis wir aus hamburg raus waren, dachte ich jedenfalls, aber als ich auf die karte sah, waren wir schon fast in cuxhaven. du wolltest die gleiche reise unternehmen und deine eltern oder deinen vater an bord treffen. obschon ich schon an bord war und unterwegs, trafen wir uns noch kurz vor deinem reiseantritt. du hattest deinen seesack dabei. wir fanden nicht heraus, ob du auf dasselbe schiff gehen würdest oder ein späteres nehmen würdest. sobald wir jefenfalls die offene see erreicht hätten, würde der supermarkt an bord aufmachen und ich könnte etwas zu essen kaufen.
Schiffnamen 18
Nicole Burmester, Lindener Hafen [17.5.25]
(Während ich das Foto mache ist ein Bass zu hören, ganz in der Nähe eine Veranstaltung mit elektronischer Tanzmusik. Es ist ein Wetter kurz vor dem Regen, auffrischender Wind. Auf der Limmer gibt man sich unbeeindruckt und sitzt draußen. Ich hebe noch Geld ab, im Automatenraum hat jmd. eine Bierflasche stehen gelassen, 1/3 gefüllt. Dann an der Faust vorbei zurück in Richtung Nordstadt.)
Das Zählen der Finger
Neulich einen Traum gehabt, der so verrückt war, ich erinnere jetzt nicht mehr warum, dass ich ihm wieder durch das Zählen meiner Finger auf die Schliche zu kommen versuchte. Was auch gelang, denn an einer Hand hatte ich sechs Finger, wovon einer merkwürdig lang und dünn war. Nur dieses Mal war das Erwachen falsch und ich blieb in dem Traum, dessen höhere Ebene ich heute ebenfalls nicht mehr erinnere.
Immer wieder komme ich an einen Punkt der Verwunderung, an dem ich bemerke, wie sehr die Bilderwelten, die aus der KI in unserer Welt sichtbar werden, an Traumbilder erinnern können.
Die Sache mit den Fingern ist ja bekannt. Die frühen Bilder von Menschen, die aus der Maschine kamen, zeigten oft Hände mit einer nicht ganz so üblichen Anzahl an Fingern, häufig sechs oder sieben. Manche verwuchsen mit den Gegenständen, die sie hielten oder berührten, als wenn es nicht ganz klar wäre, wo der Körper aufhört und die Welt anfängt. Bzw. die Gitarre.
Ich erinnere außerdem Bilder, die die Maschine in ihrem Vorbewusstsein für mich erzeugt hat — ich fragte nach einer lissabonner Tram und bekam ein (auf dem Tejo?) schwimmendes Ding mit Oberleitungs-Stromabnehmer und dem Turm von Belém als Ausguck. Oder es ging um die Gepäckumladung am Flughafen und das Follow-Me-Fahrzeug hatte dann einen Airport-Tower. All diese Beispiele sind verloren, weil gelöscht und also wie echte Traumbilder nicht mehr wiederherstellbar, weil ich nicht genau wusste, wozu ich sie noch brauchen könnte.
Das Video oben entsprang meiner Neugierde. Basis war das in diesem Beitrag gezeigte Bild, welches einfach nur entstand, weil ich den Text des Beitrags in die Bildermaschine eingegeben hatte. Das ist natürlich nicht der Mittellandkanal, erinnert eher an eine holländische Gracht, was eine besonderer Zufall ist, denn ein Wochenende zuvor war ich an einem ganz ähnlichen Kanal. Ich gab der Bewegtbildmaschine das Bild als Startbild und schrieb dazu: Der eine Mann verschwindet im Wasser.
Warum mich aber das Ausgangsbild so interessiert hat ist, weil ich selber mich immer wieder auf dieser Art von Weg wiederfinde, nachts in den Träumen. Stege, die einfach im Wasser verschwinden, als wäre es genau richtig so und nur mein Fehler, nicht zu wissen, wie man genau auf ihnen gehen muss. Manchmal sind es Treppenhäuser, die in über ihren eigenen Abgrund gelegten Brettern enden im obersten Stockwerk, und schafft man es doch, sie zu überwinden, und zwängt sich durch die Luke, dann ist dort eine riesengroße Wohnung dahinter, die aber zu der eigenen Wohnung gehört, nur den Teil hatte man noch nicht entdeckt bisher.
Ich jedenfalls bin der Mann im schwarzen Mantel, dort auf dem Steg. Hält er sich die Nase zu mit der einen Hand, bevor er im Kanal verschwindet — und was sind das für merkwürdige Möwen?
xx
Schiffnamen 17
Aus den Briefen – 21 – (und gleichzeitig Schiffnamen 16)
Am besten ist Nieselregen, dem kann man mit einem großen Gleichmut begegnen. Am Kanal sehe ich oft Ratten, aber natürlich auch andere Tiere. Viele Möwen dort mittlerweile. Das notieren der Schiffnamen mache ich gerade nicht mehr, obschon ich Dir jetzt schreiben kann, dass ich gestern „Tom Burmester“ und „Katja“ gesehen habe, unter anderem, aber die anderen Namen weiß ich nicht mehr. [8.2.25]