Die Glockenschläge zweier Kapellen am morgen,

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um 7 Uhr vom Alten Dorf herüber das erste, es hatte geschneit in der Nacht, taut aber schon wieder und in einem Busch gegenüber der Haltestelle, an der man sich einen guten Morgen sagt, hier in der Vorstadt, sind zwei Meisen auf den Schneezweigen und dann kommt der Bus, einer von den ganz neuen, elektrischen, fährt zur Haltestelle Lindener Hafen — dort stehe ich und bin verwundert darüber, hier schon vor 40 Jahren gestanden und auf die Bahn gewartet zu haben, auch an solchen Morgen, wie heute einer ist, der Bus ein lautes, zitterndes und vibrierendes Ungetüm mit rußendem Auspuff, damals, die Schulkinder mit den Ranzen und Rucksäcken, der graue Schneematsch, an der Lagerhalle hängt immer noch ein Schild mit der Aufschrift „Mannesmann“, als wenn nichts gewesen wäre, Morse Signal North die ganze Fahrt über und um 8 in Kirchhorst dann das zweite Schlagen, aus der Richtung, aus der auch das Krähen des Hahns herüberweht, an manchen Tagen.

Der Bus bremst

, weil ein vorausfahrender Wagen nach rechts abbiegt. An der Haltestelle Vier Grenzen steht der Bus Linie 122 nach Langenhagen Im Gehäge. Die Busfahrerin im 122 winkt ihrem Kollegen kurz, schaut dann auf ihr Handy und lacht. Eine Bahn hält zusätzlich. Eine Frau geht den Bahnsteig entlang, mit ihr geht ein Windhund in einem blassblauen Pluderhosenanzug.

[2. januar]

über die rote ampel zur bahnhaltestelle, gleich kommt auch die bahn, maske auf, einsteigen, hinsetzen, mit dem telefon eine fahrkarte kaufen. ein mann trinkt aus einer lilanen tasse.

im bahnhof eine frau mit einem hut aus gelbem regenjackenstoff, sie schaut zusammen mit einem mann in das schaufenster vom presseladen.

am ersten arbeitstag des jahres die menschen einfach so hinnehmen können. alle sind schon wieder eilig, fettig riecht es vom bäckerstand, wo bereits pizza verkauf wird.

an der bushaltestelle fragt ein älterer herr jmd., ob der 121 hier abfährt und zwar zum henriettenstift, sie sagt zwar ja, aber henriettenstift weiß sie nicht. ich sage ihm, ungefragt allerdings, es ist die richtige richtung. gleich kommt ein bus, den er nicht nimmt, geht zurück zum bahnhof [blumen kaufen].

Aufgeschriebenes aus den Monaten

(ca. 28.4.) Überall lauert die Vergangenheit: Heute der Spaziergang durch den Wald und dann die Hohenzollernstraße, die Villa, in der früher das Institut sich befand. Wir standen vor dem Eingang unter dem Vordach, Hochparterre, und rauchten.

(12.8.) Morgens die Passfotos (biometrisch) im Bahnhof gemacht und dann, mit den soeben gedruckten Fotos in der Hand, über den Bahnhofsvorplatz gerannt, dem Busfahrer des 900ers winkend mit der anderen Hand, dass er warten möge, was er dann auch getan hat.

(ca. 28.8.) Die, die ein unbestimmtes Publikum, und die Luft anschreien. Da war etwas die Frau hinter mir im Bahnhof, an einem Morgen um den 28.8., die den Satz „Wenn du mit dir selbst redend durch den Bahnhof läufst, wirst du abgeschoben. Auf dich wartet nur noch das Grab.“ sagte und wen meinte sie damit?

(7.9.) An jedem dieser Tage, die alle der letzte Sommertag sind, sitzen wir auf dem Balkon und trinken den Wein der Unvernunft, bis die Fledermäuse fliegen und es Zeit ist. Um eine kleine Glasschale mit eingetrockneter Aprikosenmarmelade darin kreisen die letzten Wespen. Häufig lassen sie einander in Ruhe, manchmal kämpfen sie eine Sekunde miteinander. An jedem dieser Abende gebe ich ein oder zwei Teelöffel Wasser dazu, so wird die Marmelade und der Zucker wieder etwas gelöst. Eine graue Scherbe liegt darin, an der die Wespen herumklettern können, so kommen sie auch gut an das Wasser heran.

(15.10.) Die Scherbe stammt von einem dieser grauen Teller, die aus dem Haushalt der Eltern übergegangen sind, wohl mit der Wohnung mit dem Blick auf den alten Fernsehturm in der Ferne, dann in die heutige Wohnung, einen hatten wir als Blumentopfuntersetzer draußen auf dem Balkon stehen und dann kam ein Sturm. Die Scherbe war danach unten über dem Wasserloch in einem tönernen Blumentopf, heute liegt sie weiter in der Glasschale, darin noch ein letzter Rest der ganz vertrockneten Marmelade, die Wespen aber sind alle weg.

(16.10.) Die Pappeln sind jetzt gefällt.

(28.10.) Gestern Abend waren Fledermäuse am Kanal, in der Dämmerung. Habe 11 gezählt. Heute vor Sonnenaufgang auf dem Rad. Im T-Shirt. 28 Oktober.

(30.10.)

 
(31.10.) Noch vereinzelte Wespen in der Luft.

Jakobsmuscheln

Am Freitag war ich spät dran, um den Bus am Bahnhof noch zu erwischen. Da jetzt wieder die Zeit ist, in der ich die Haltestelle und den Bahnhofvorplatz in der Dämmerung erreiche, hätte ich die Krähen erwartet – ein paar waren auch auf den Zweigen und in der Luft, aber vielmehr ein helles Summen anderer Vögel, ein durch die vielen gleichartigen Rufe durchgehender Ton. Versehentlicht nicht auf den Aufnahme-Knopf gedrückt. So bleibt es eine Erinnerung. Sammelten sich die Vögel, um zu einem großen Flug in den Süden aufzubrechen? Während der Busfahrt höre ich französisches Radio. Es werden Jakobsmuscheln beworben, das Kilo für 5 Euro. Der Kontrolleur riecht nach Speick-Seife, wie die ganze Wohnung eines Schulfreundes damals nach Speick-Seife gerochen hatte, oder zumindest das Badezimmer, welches auch als Fotolabor genutzt werden konnte und eine Klemmlampe mit einer Rotlichtbirne darin an irgendeiner Stelle angebracht hatte, wenn ich es richtig erinnere. Der mittlere Bruder baute Radios. Ein Lastwagen mit der riesigen Aufschrift KÄLBERSTROH.de fährt vorbei als ich aus dem Bus ausgestiegen bin und später, in einer Videokonferenz, wird ein entflogener Papagei besprochen.

Einem Streifen Regen

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dann nicht ausweichen gekonnt und recht aufgeweicht an der Noltemeyerbrücke, auf ca. einem Drittel der Strecke also dann, in den Bus gestiegen. Das Letzte, was noch zu erledigen wäre ist zu zählen, wieviele Birken zwischen Kirchhorster See und dem Kreisel am Ortseingangauf der linken Seite der K112 stehen. Auf dem Kreisel heute wieder ein Theodolit, mit dem zur kürzlich gemähten Wiese hinter dem Bushaltestellenhäuschen des 900/630 Richtung Burgdorf bzw. Großburgwedel gepeilt wird. Dort abgesteckt quadratische Claims, mit schmalen Latten, die am oberen Ende orange angemalt sind. Am Rande der Wiese steht ein kleiner gelber Bagger, Teil eines Ensembles, das aus einem Bauwagen, einem Kastenwagen und einem Lieferwagen besteht, alle in dem schönen Parkbankgrün angemalt. Auf einem Schild an einem der Wagen der Schriftzug Schollenberger Kampfmittelbergung. Im trockenen Graben brummt ein Stromgenerator. Auf dem gemähten Kraut steht jemand und hört den Boden ab, ein anderer steht daneben. Gefunden wurde am Ende ein Findling, der vermutlich seit tausenden Jahren hier in der Erde lag.

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Vor ein paar Tagen stakste ein  Storch über das trockene Heu auf der Wiese. Von dem Storch kein Foto.

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Das Gewerbegebiet wird also dann weiter wuchern an Stelle von Kraut und Wiese, die Stadt wächst auch in den sie umgebenden Dörfern aus sich hinaus und wächst in sich in die Brachen hinein. Die kleinen Wildnisse verschwinden. Später werden einige behaupten, das man Geld doch essen kann und sie werden es im Chor in die Netze schreiben, dass ihnen mehr und mehr Glauben schenken.

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An dem Holzschuppen stand der Schachtelhalm und die Wände waren im Schwarz einer Holzschutzfarbe gestrichen. Es war ein mehrere Meter langes Gebäude, welches neben dem Fußweg (Radfahrer frei) in Richtung des einen Supermarktes stand. In manchen Sommern wuchsen bereits ein paar Gräser in der Rinne.

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Von dem Schachtelhalm kein Foto.

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Wo alles am Ende hinwächst, kann nur nach oben in den Himmel sein und da, so hört man, ist auch schon alles voll mit Dingen, die dort nicht hingehören, und kein Platz mehr.#

Als wäre nichts gewesen

Im letzten Jahr habe ich Texte aus diesem Blog hier mehr oder weniger öffentlich vorgelesen. Bei der Recherche dazu immer weiter zurückgegangen in den Jahren, denn es gibt wenig, das mir geeignet zu diesem Zweck schien. Vieles ist für das Netz geschrieben, an der Grenze zum Unsichtbaren, besteht, weil es einen Rückverweis gibt, ist als Bestandteil des Streams mehr als nur der einzelne Text, als einzelner Text vielleicht nicht von Bedeutung. Ich hatte mich dann mit mir auf eine Auswahl geeinigt.

Auch bin ich weiterhin, Stück für Stück, dabei, die verlorenen Bilder zu rekonstruieren, die an vielen Beiträgen fehlen. Dabei findet sich vieles vergessenes wieder und vieles auch, das ich heute vielleicht nicht mehr ins Netz schreiben würde. Weil sich das geändert hat, was hier vorkommt, weil meine Ansprüche an das eigene Schreiben jetzt andere sind. Beim Zurückblättern jedenfalls, und das mache ich jetzt mit System, ist dort häufig eine große Fremdheit, ist die Frage, wer das eigentlich gewesen ist, der hier diese ganzen Texte geschrieben hat. Ich war es nicht.

 

Im Impressum steht ja seit einigen Jahren bereits – es stand dort nicht immer so – „die Texte auf dieser Seite sind fiktional“, denn hier schreibt jemand, der ich bin und den ich mir aber ausgedacht habe, auch weil es so eine Sache ist mit dem Erinnern. Eine Zeit lang war ich der Annahme, mit diesem ausgedachten Menschen identisch zu sein und in der Zeit muss es also auch so gewesen sein. Hier aber schrieben in der Vergangenheit immer schon verschiedene Versionen dieses Ausgedachten, die jetzt allesamt verschwunden sind, sich in der Zeit zwischen den Zeilen aufgelöst haben als wäre nichts gewesen. Ich erinnere mich an eine große Wut, die in vielen Texten sichtbar wurde und sich nicht mehr zu verstecken brauchte. Die jetzt keine eindeutige Richtung mehr hat, weil ihre Ursachen komplexer sind als gedacht. Die sich jetzt aber also auf eine Wellenlänge jenseits des für Menschen sichtbaren Lichts verlagert hat und subtilere Kristalationsformen findet. Häufig ist sie aber auch einem stoischen Beharren auf der eigenen Kauzigkeit gewichen, wenn man so als Eule getarnt durch die Tage geht, um die Vögel leichter beobachten zu können und Schiffnamen ins Logbuch zu notieren, auf dem Weg zur Arbeit.

Heute sind es 20 Jahre, seitdem der erste Eintrag veröffentlicht wurde. Es war ein Ostersamstag im März 2002.