Nur ein Gefühl

Im Moor steht Wasser. Auch der See hat keine kahlen Stellen mehr, nach über einem Jahr ist er wieder bis zum Rand gefüllt. Es war ein gutes Jahr für den Wald, hier in dieser Gegend, aber das ist nur ein Gefühl.

Heute am Morgen dann auch die „Ballade von den Seeräubern“ im inneren Ohr, die haben wir auch immer gesungen auf Fahrt. Und das Lied von den Moorsoldaten, das ist aber nicht in diesem Moor entstanden. In diesem Moor waren die Sinti interniert.

Am Abend, am Kanal. Ich habe mit dem Rad kurz angehalten, um zu schauen, ob noch Einkaufswünsche ankamen, die ich dann überlesen kann. Ich stehe auf einer kleinen Terrasse, die in den Kanal hineingebaut ist, mit einer Rampe, auf der kleinere Schiffe ins Wasser gebracht werden können.

Die Dunkelheit fällt jetzt wieder schnell herab vom Himmel, eine Bewegung, ein Rattenschatten läuft jenseits des Geländers, auf der Wasserseite, auf dem kleinen Vorsprung, entlang, springt dann ohne zu zögern ins Wasser am Ufer, ich sehe sie noch ein paar Züge schwimmen, dann taucht sie unter. Als wenn das einfach der gewohnte Weg wäre. Sie hatte einen schönen braunen Pelz, die Ratte.

Kurier dich mit Bier und Kriechstrom, der übrig blieb von der Phantomspeisung

(Irgendwann zwischen Februar und März)

Im Biosupermarkt im Hauptbahnhof beobachte ich, wie einer nach dem Bezahlen sieben kleine Flaschen Bier in einen schwarzen Handgepäck-Koffer tut. Dazu muss er einen kleinen Hartschaumball und ein Panda-Kuscheltier auspacken. Der Panda findet wieder Platz im Koffer, der Ball muss in einen Rucksack ausweichen, den er zusätzlich mit sich führt. Zuvor hatte er schon das Misstrauen des Wachmenschen im Drogeriermarkt geweckt, weil er wohl das Duschgel nirgendwo finden konnte, und dann plötzlich den Korb auf einem Stapel Toffifee abstellte, um den Laden zu verlassen und zu Sanifair zu eilen.

Phantombild

Zwischen all der Werbung auf einem der großen Monitore im Bahnhof am Morgen plötzlich ein computergeneriertes Kinderbild: FAHNDUNGSAUFRUF UNBEKANNTE KINDERLEICHE.

In der Dämmerung sitze ich wieder im Bus und sehe, auf einer großen LED-Werbetafel, etwas entfernt und in einer Stichstraße, wieder das berechnete Kinderbild. Ein Geist, der an verschiedenen Orten der Stadt erscheint, manchmal gleichzeitig. [4.1.23]

Geste der Selbstbehauptung

An dem einen Tag in dieser Woche war ich sehr früh (7:15) in dem Supermarkt, nur um die belgischen Bierflaschen in den Pfandautomaten zu stecken. Danach in den Supermarkt rein, aber nur um bei den direkt im Eingangsbereich aufgebauten Adventskalendern die Abmaße festzustellen. Dazu hatte ich extra einen Zollstock mitgebracht.

Aufgeschriebenes aus den Monaten

(ca. 28.4.) Überall lauert die Vergangenheit: Heute der Spaziergang durch den Wald und dann die Hohenzollernstraße, die Villa, in der früher das Institut sich befand. Wir standen vor dem Eingang unter dem Vordach, Hochparterre, und rauchten.

(12.8.) Morgens die Passfotos (biometrisch) im Bahnhof gemacht und dann, mit den soeben gedruckten Fotos in der Hand, über den Bahnhofsvorplatz gerannt, dem Busfahrer des 900ers winkend mit der anderen Hand, dass er warten möge, was er dann auch getan hat.

(ca. 28.8.) Die, die ein unbestimmtes Publikum, und die Luft anschreien. Da war etwas die Frau hinter mir im Bahnhof, an einem Morgen um den 28.8., die den Satz „Wenn du mit dir selbst redend durch den Bahnhof läufst, wirst du abgeschoben. Auf dich wartet nur noch das Grab.“ sagte und wen meinte sie damit?

(7.9.) An jedem dieser Tage, die alle der letzte Sommertag sind, sitzen wir auf dem Balkon und trinken den Wein der Unvernunft, bis die Fledermäuse fliegen und es Zeit ist. Um eine kleine Glasschale mit eingetrockneter Aprikosenmarmelade darin kreisen die letzten Wespen. Häufig lassen sie einander in Ruhe, manchmal kämpfen sie eine Sekunde miteinander. An jedem dieser Abende gebe ich ein oder zwei Teelöffel Wasser dazu, so wird die Marmelade und der Zucker wieder etwas gelöst. Eine graue Scherbe liegt darin, an der die Wespen herumklettern können, so kommen sie auch gut an das Wasser heran.

(15.10.) Die Scherbe stammt von einem dieser grauen Teller, die aus dem Haushalt der Eltern übergegangen sind, wohl mit der Wohnung mit dem Blick auf den alten Fernsehturm in der Ferne, dann in die heutige Wohnung, einen hatten wir als Blumentopfuntersetzer draußen auf dem Balkon stehen und dann kam ein Sturm. Die Scherbe war danach unten über dem Wasserloch in einem tönernen Blumentopf, heute liegt sie weiter in der Glasschale, darin noch ein letzter Rest der ganz vertrockneten Marmelade, die Wespen aber sind alle weg.

(16.10.) Die Pappeln sind jetzt gefällt.

(28.10.) Gestern Abend waren Fledermäuse am Kanal, in der Dämmerung. Habe 11 gezählt. Heute vor Sonnenaufgang auf dem Rad. Im T-Shirt. 28 Oktober.

(30.10.)

 
(31.10.) Noch vereinzelte Wespen in der Luft.

Jakobsmuscheln

Am Freitag war ich spät dran, um den Bus am Bahnhof noch zu erwischen. Da jetzt wieder die Zeit ist, in der ich die Haltestelle und den Bahnhofvorplatz in der Dämmerung erreiche, hätte ich die Krähen erwartet – ein paar waren auch auf den Zweigen und in der Luft, aber vielmehr ein helles Summen anderer Vögel, ein durch die vielen gleichartigen Rufe durchgehender Ton. Versehentlicht nicht auf den Aufnahme-Knopf gedrückt. So bleibt es eine Erinnerung. Sammelten sich die Vögel, um zu einem großen Flug in den Süden aufzubrechen? Während der Busfahrt höre ich französisches Radio. Es werden Jakobsmuscheln beworben, das Kilo für 5 Euro. Der Kontrolleur riecht nach Speick-Seife, wie die ganze Wohnung eines Schulfreundes damals nach Speick-Seife gerochen hatte, oder zumindest das Badezimmer, welches auch als Fotolabor genutzt werden konnte und eine Klemmlampe mit einer Rotlichtbirne darin an irgendeiner Stelle angebracht hatte, wenn ich es richtig erinnere. Der mittlere Bruder baute Radios. Ein Lastwagen mit der riesigen Aufschrift KÄLBERSTROH.de fährt vorbei als ich aus dem Bus ausgestiegen bin und später, in einer Videokonferenz, wird ein entflogener Papagei besprochen.

Safe harbour of unconsiousness

 

Nimm die benutzten Spritzen und zieh sie neu auf mit bunter Tinte. Lass Farbe einsickern in braunes Papier, in Wellpappe, Karton und in weißes Papier, nur in Gedanken aber, die Kanülen sind zu schmal für die Tinte, nehmen nur das dünne Wasser auf. Schwing Dich auf, der blaue Vogel ich war es nicht. Jetzt fällt der Regen und alle Vögel freuen sich. Schneide die Fußnägel, bevor die Tinte trocken ist, hör den Gedanken der Anderen zu, das Raunen und Rauschen, das Knistern. Öfter nur als Du denkst und nie genug.

 

Die zwei oder drei Winter der Wäscheklammer, die gegenteiligen Entenfüße und was die Liebe noch übrig lässt: ein Transistor, der orangene und grüne Streifen hat, eine halb vergessene Zeile, ein Kleid aus zerschlissenem Gardinenstoff.

 

Der ungelenke Löffel, dem Kind die dunkle Medizin zu verabreichen, später wird es Rennfahrer und Ufologe (Doppelstudium). Der Zeigefinger, der nach Schwefel riecht, der Versand auf deutsche Inseln ist ausgeschlossen.

 

Die Postkarte, die ich von nun an als Schablone verwende, um die Postkarten zurechtzuschneiden, hatte ich vor Jahren in Groningen gekauft. Sie ist frankiert und auf der Briefmarke steht eine Jahreszahl: 2014. Ich weiß nicht, ob das Porto noch reichen würde — denn ich wollte sie eigentlich einem Freund zum Geburtstag schicken, dazu ist es nie gekommen, ich weiß nicht warum. Das Motiv zeigt ein Bild von H.N. Werkman mit dem Titel „De taal der vogelen“ und ich verstehe genug Niederländisch um zu wissen, das es nicht die Zahl der Vögel ist, sondern die Sprache der Vögel.