Die beiden Männer, die mir gegenüber in der Bahn sitzen, unterhalten sich, auf Englisch, mit einem weichen, afrikanischen Akzent, über Fussball. Ich weiß nicht, ob es an meiner Ignoranz liegt, dass ich nicht ganz folgen kann. Tue so, als würde ich lesen, schaffe während der Fahrt tatsächlich auch 10 Seiten, während sie die Spieler und das Potential durchgehen. Der eine berichtet, dass es deshalb ein paar unpopuläre Spielerentscheidungen gab, weil der Trainer eine Quote hat und die Religionen berücksichtigen will — oder soll — er sagt, 40% seines Landes, my country sagt er, wäre muslimisch und der Trainer möchte, dass sich das in der Mannschaft widerspiegelt. In dem Gespräch tauchen deutsche Worte auf wie „Mannschaft“ und „zweiter Torwart“, Hamburg und Hannover, plötzlich sind sie bei Boko Haram und, der eine wieder, erzählt, dass sie Boko Haram bekämpfen müssten, dass die nicht ins Land kommen dürften, we have to fight them back, dass der Trainer das deshalb genau richtig machen würde. Wie nah alles beieinander liegt. Der andere leiht sich schnell noch fünf Euro und steigt dann aus, in der Kronsberg Area, wo alles für mich tatsächlich etws schwedisch aussieht, die Häuser haben eine ganz ähnliche Architektur wie in diesem Viertel, das wir gesehen haben, als wir auf dem Kanal entlang gefahren sind, in Stockholm. Ganz ähnliche Architektur wie der Wohnblock, in dem der Kommissar Wallander wohnt, in der einen Verfilmung, der hellgelbe Putz und sich am Abend, auf dem Balkon stehend, mit seinem gelbhaarigen Nachbarn unterhält, der eine Halskrause trägt.
So schweifen die Gedanken weit dahin, ich gelange an die Idee von den Städten, die für uns so lange virtuelle Orte sind, bis wir eine Beziehung zu ihnen haben, entweder weil wir Menschen dort kennen, oder weil wir selbst dort gewesen sind. Neulich schrieb ich in einem Brief darüber, den ich vielleicht noch einmal, in Teilen jedenfalls, hier zitieren könnte. Letztes ist also stärker, am besten funktioniert beides. Das die Beziehung, ich komme zum Beispiel New York, weil mir immer dann New York einfällt, ich kenne sehr flüchtig einen Menschen aus Rochester, Rochester im Staat New York, nicht das Rochester wo Dickens geboren wurde und der „Piano Man“, eines schönen Tages, am Strand lag, jedenfalls. Existiert dieser Ort, soweit ich es weiß, nur dadurch, dass ich von ihm berichtet bekommen habe — sehr viel wurde und wird darüber ständig in allen möglichen Medien gesagt, da weiß man immer nicht so genau, wie es mit dieser sog. Realität bestellt ist. Meine Schwester und einige andere aus der Familie, Freundes- und Bekanntenkreis waren schon dort, aber ich bin mir recht sicher, dass es sich dabei um einen anderen Ort handelt. Ich denke an einen weiteren Ort, von dem ich insbesondere durch meine Abschlussarbeit, die u.a. über einen Dokumentarfilm geschrieben wurde, der in Teilen dort spielt, genauso muss es gesagt werden, einen erzählten Ausschnitt kenne, neben den Bahngleisen und die Rolläden, die am morgen die Augen aufmachen, so ist Mumbai ein großer Slum, was es sicherlich auch ist, aber nicht nur, in welchem Menschen mit geschulterten Bioskopen über die Pipeline-Rohre laufen und eine ganze Kinderschar hinter ihnen her, solche Dinge denkend trat ich aus der U-Bahn, gehe über die Fußgängerbrücke auf die Expo-Plaza — es roch bereits ein wenig nach Schnee — und mir fiel dann der zweite Dokumentarfilm desselben Regisseurs ein, es war Michael Glawogger, (eigentlichfiel mir nicht der Film ein, ich dachte zunächst an meine Erinnerung an diesen Ort, ich erinnerte mich an einen großen Platz, der mit Steinplatten ausgelegt war), erinnerte mich an die chinesischen Wasser-Kaligraphen, die dort zu sehen sind, vor einem monumentalen Denkmal, an welches ich wiederum auch auf der Placa de Tetuán in Barcelona denken musste, so geht alles durcheinander und ist in schöner Unordnung, in Barcelona, in diesem Viertel, wohnen auch viele Asiaten, wozu später auch noch etwas gesagt werden soll, aber nicht heute und nicht hier, hier jedenfalls (in dieser Filmszene) sind sie zu sehen, wie sie mit einem breiten Pinsel Schriftzeichen auf den Boden schreiben, die sofort wieder verschwinden, gleich folgt aber das nächste hinterher. Mehr noch als alles andere ist dies ein Zeichen für die Vergänglichkeit und dafür, wie schön es ist, etwas nur um der Handlung willen zu machen, mitnichten folgenlos. An diesem Morgen, kurz nachdem ich aus der Bahn gestiegen war fiel mir noch ein, dass ich Dir noch nichts vom erwarteten Schnee geschrieben hatte und wie es wäre, wenn das die letzten Worte wären, an jemanden, geschrieben z.B. als eine WhatsApp-Nachricht, „Im Radio haben sie gesagt es soll heute schnee geben“.
Ein Kommentar zu “es soll heute schnee geben”