Jetzt auf Seite 582

heute morgen gewesen in der U-Bahn (genaugenommen: eben die Zahl von 462 auf die aktuelle geändert, weil mein Schreiben hier das Wassertragen mit bloßen Händen ist). Die Verschachtelung der Körper nimmt langsam Formen an (womit ich um des Himmels dem Buch keinen Kubismus nachsagen möchte, dass können Andere dann meinetwegen zum wiederholten Mal). Auch die Fährte mit dem Joyce’schen Ulysses erweist sich als Kuh auf dünnem Glatteis. Möglicherweise, wo auch heute gerade noch die Medusa im Spiegel im Spiegel (!) auftrat, an anderen Stellen auch Verweise zu finden sind, ist ein Herumgestocher in der griechischen Mythologie vielversprechend, könnte sich aber als anstrengend erweisen. Es ist zwar immerzu bzw. immer wieder von Syracuse (New York) die Rede und auch von Ithaca (New York).

Es gibt eine Seinfeld-Folge, in der Jerry ein Gastspiel in Ithaca (New York) hat, welches ziemlich in die Binsen geht. Infolgedessen muss er auf Irrwegen mit einem Mietwagen Nachhause zurückfahren, strandet mitten in der Walachhei (der Umgangssprachlichen, nicht der in Rumänien) in einem Swiming Pool und gelangt nur unter Überwindung vieler Hindernisse zurück nach New York (New York), wo seine Freundin in der Flughafen-Lounge auf ihn wartet. Ob sie zum Zeitvertreib ein Leichentuch gewoben hat, wird in der Folge nicht erwähnt: „Dass David Foster Wallace nicht mehr lebt, kann ich immer noch nicht fassen. Seine Texte, seine Art zu schreiben mochte ich wirklich sehr [nun gut, das Kreuzfahrtbuch vielleicht nicht ganz so sehr. Und die Fußnote als Stilmittel konnte einem manchmal schon auch auf die Nerven gehen. Aber trotzdem]“. Auch in Unendlicher Spaß sind die Fußnoten weit ausgebreitet und enthalten tatsächlich wichtige Schlüsselszenen. Zumindest Hinweise auf.

Dann die Körperlichkeit, die der Text sich aneignet, bis hin zur Deformation des großen Körpers der amerikanischen Nation (bei gleichzeitiger Aufblähung):

Die Stadt mit dem Kopf aus dem die Antenne ragt, über welche die Einflüsterungen der nächtlichen Kult-Radiosendung überertragen werden, mit der als eine Lunge beschriebenen Tennis-Court-Überdachung, mit dem unterirdischen Labyrinth von Gängen zwischen den Tennisanlagen und der Lunge, mit dem allerersten Satz, der gleich Körper sagt, mit dem (auch innerhalb des erzählten Zeit stark abgesetzten) eingeschobenen Monolog des Vaters, 1960 v. SZ., der den Körper des Sohnes zu manipulieren versucht. Mit all dem. Mit den explodierenden und missgestalteten und totgeborenen Körpern. Das ist tatsächlich bisweilen harte Kost. Das ist immer ein Grund, gleich noch die nächste Seite aufzuschlagen.  Alles ist verstiegen und verdreht, gleichzeitig erscheint es aber alltäglich und normal. Das abgespaltene Paralleluniversum. Dies ist der dritte Freitag an diesem Text. Im nichteuklidschen System offenbaren sich die Personen merkwürdig erstarrt gekrümmt oder deformiert. Konvex und konkav sind sowohl Landschaften als auch ein äußerer Bereich des Großhirns. Namen und Bezeichnungen treiben ein mehrfach hierarchisches Spiel von Referenz und Bedeutung und die Analyse als Methode versagt: Man kann auch versuchen, eine Textmauer darum herum zu errichten, wenn sich das Ding nun einmal der Festlegung entzieht. Das ist allgemeine literaturwissenschaftliche Praxis, das Wesen, das Gespenst in einen Käfig zu sperren, das Forschungsgebiet abzugrenzen. Damit es bewältigt und ggf. überweltigt werden kann, vermessen, etikettiert und dann taxidermiert zum glücklichen Ende.

Jetzt auf Seite 630. Und ich lese nur am Morgen und am Abend in der Bahn, während die anderen zumeist auf ihren Devices touchen und wenn Du schon schläfst und ich die Seinfeld-Folge noch einmal auf Anfang stelle, damit Du vom Seiten-Umblättern nicht aufwachst.

Ich wünschte, ich würde mich für Tennis interessieren

Im Bad das Radio war auf MW gestellt, was ich nicht wusste. Ich drehte über Kopf an der Skala und bekam einen italienischen Sender rein, in schönster Mittelwelle. Gleich war das Radiogefühl da.

Während ich, später den Abend, die Big Bang Theory schaue, versuche ich, herauszufinden, was wohl die angepriesenen Produktplatzierungen sein mögen. Stattdessen fällt mir auf, dass in den Werbeblöcken für drei verschiedene Wodkasorten im High Quality Segment geworben wird. Man kann nicht bedeuten.

Einen langen Text, sagen wir ein Buch, von david-foster-wallaceschen Ausmaßen zu schreiben, würde vor allem auch bedeuten, ständig dem Impuls zu widerstehen, alles gleich ins Netz hineinzuhauen was gerade mal von den Fingertips fällt, wo ja auch diese ganze Informationssauce dranklebt. Beim Lesen von „Unendlicher Spaß“, inzwischen ca. Seite 240 oder so, oft an ein auch recht umfangreiches Buch denken gemusst, nämlich den Ulysses vom Joyce. Hier wie dort ein vielstimmiger Text, der erste große Unterschied (aber vielleicht ist das etwas, wo die beiden Werke letztenendes eine Verbindung herstellen können) ist, dass bei Joyce einer spricht, an einem Tag (von der sehr späten Nacht einmal abgesehen), bei Foster-Wallace hingegen sprechen wirklich sehr viele über mehrere merkwürdig bezeichnete Jahre hinweg. Aber ist es nicht so, dass auch (Wallace macht es ja so) beim Ulysses die Stimmen der Protagonisten in ihrer eigenen Sprache in den inneren Mono- und dann also Dialog hineinreflektieren?

Mit beiden Texten verhält es sich jedenfalls so, dass sie am besten dann zu lesen sind, wenn von vornherein garnicht erst versucht wird, sie durchschauen zu wollen. So wie mit der Bibel.

Nachdem also den lieben langen ~ die Klicktiefe gemessen wurde, bleibt aus o.g. Gründen nun hier übrig was vom Tage. Aktiviertes Profil: Arbeit. Während der Typ etwas von einem Sichtbarkeitsindex erzählt, versuche ich also, die eigene Sichtbarkeit möglichst gering zu halten und lese Blogartikel in purem RSS. Aktiviertes Profil: Lautlos. Aktiviertes Profil: Abend. Am Morgen in der U-Bahn die Gesichte, wie sie auch auf einer einen Bleistiftstrich imitierenden (eine Verneigung vor der Historie des Phantombildes), unter Zuhilfenahme von Grafiksoftware erstellten (Nicht)-Zeichnung zu sehen sein könnten, die an den Eingangstüren von bspw. Discountsupermärkten angebracht wären. Belohnung 1.000 Euro. Die Alkoholfahne der jungen Dame, die neben mir steht, ist wohl doch zu viel billiges Parfum, dessen Grundsubstanz den gewünschten Duft überlagert. Gegenüber sitzen zwei Angestellte der Verkehrsbetriebe, sie haben Instrumentenkoffer dabei, ein Waldhorn vielleicht (der Eine) und eine Querflöte wohlmöglich (oder eine Klarinette) der Andere. Am Aegi steigen zwei weitere Kollegen dazu, eine scheinbare Trompete und eine weitere Querflöte/Klarinette. Da ich auf den Ohren die eigene Musik und vor den Augen den unendlichen Spaß habe, höre ich nicht, worüber sie sich bedächtig unterhalten mit den Schnauzbärten. Sie stehen dort und nehmen jede Bewegung der Straßenbahn gelassen mit den Beinen wahr; die Instrumententasche des einen ist von der Marke „Jawoll“.

Es ist endlich Schnee gefallen.