nun schon in diesem Herbst, diesen 2. November, 20 Grad heute, den Weg zur Arbeit in Hemd und T-Shirt, auf dem Fahrrad, und zwar zwischen 7 Uhr und 8 Uhr am Morgen — als würde ich noch unter einer zu warmen Decke schlafen, der Wind kommt aus irgendeiner weit entfernten Wüste wohl, die Luft fällt schwer zu atmen. Am Mittag der Wirtschaftsweg in das Wäldchen hinter der Lagerhalle, Traktorspuren, ein Portal nach wohin genau, jedenfalls Weg von hier, das vorletzte Laub an den Bäumen im grellen, warmen Licht. Abends steht stürmischer Wind schräg in der Luft, dennoch am See das Tuch vom Hals genommen und das Hemd ausgezogen, fieberndes Wetter, Blätter fliegen entgegen, ein Vogel, eine Fledermaus und auf einer Parkbank flüstern Jemande leise in die Schatten hinein. Regen am Kanal, leichtes Sprühen nur, der warme Wind bleibt und die Schiffe sind im Dunkeln, ich kann ihre Namen jetzt nicht lesen.
Gestern am Morgen Gänse in der Luft. DIe Gedanken sind bei ihnen am Himmel, sie fliegen dann einen Moment mit, ganz froh über den langen Flug, vielleicht aber überwintern sie auch im Norden, wie wir.
allein, der schatten unserer tage
finden wir uns im spiegel?
sehen wir, wer uns in den reflektierenden oberflaechen all der blankgeputzten, verkaufsoffensiven ladengrenzen zwischen haben und sein als schatten entgegensieht?
wir wandern durch unsere zeit, und unsere innere zeit wandert mit uns. allein: es ist, was war und was wir wurden. wir verbinden die spiegelbilder unserer gegenueber mit begriffen, die selbstaendig freiraeume ausserhalb unserer wahrnehmung fuellen.
wir sind, was wir sind. wir scheinen durch die wirklichkeiten der anderen in einem flickwerk aus moeglichkeiten und taten und meinungen, immer auf der suche nach unverfaelschten spiegelbildern unserer (sehn-) suechte und nichtverwirklichten versprechungen der alten.
unser antrieb, selbst die scheinbar belanglosesten aufgaben unserer alltagswirklichkeiten pflichtgemaess zu erfuellen resultiert – auch – aus dem ersten morgendlichen blick in den spiegel im intimen baezimmer, wenn die traeume und grenzueberschreitenden wahrnehmungen unserer naechte mit ritualisierten handlungen dem neuen tag angepasst werden.
unsere energie, den brennstoff unserer koerper, frischen wir an den zapfstellen unserer spiegelwelten auf und bezahlen mit plastikgeld. wir erhitzen unsere waehrungseinheiten ultrakurz und vernaschen sie wie unsere abziehbilder unserer freunde. freunde aus dem grund, dass sie fern und unerreichbare spiegelbilder auf stumpfen mattscheiben vorspiegeln, verschwunden hinter undurchschaubarem glas, sobald der strom nicht mehr fliesst.
die schokolade unserer tage schmilzt im fernsehsessel zu einem truegerischen ernergielieferanten, dessen Auftragsbuecher allein von virtuellen traumgebilden gefuellt werden. auch daran haben wir uns gewoenht und freuen uns auf die naechste seelenmassage unserer geistigen gehwerkzeuge der kommenden nacht.
der schalkschatten unserer wirklichkeiten daemmert ueber den irrlichtern unseres alltags und verbindet weit ueber zoll- und landesgrenzen hinweg den rahmen unserer moeglichkeiten. im lotussitz unserer tagtraeume warten fremde voelker und noetigen uns ihre aufmerksamkeit durch ihr bewusstes nichttun auf. wir, spiegelbildner unserer abziehbilder bedingen deren sein und umgekehrt.
allein, es ist die zeit, die wir uns opfern. es ist unsere wartezeit in der grossen bahnhofshalle dieser welt. es sind und waren und werden sein unsere fahrplaene. selbst die zuege und -zeuge, die wir besteigen sind nichts ohne uns. und wieder spiegeln wir unsere wirklichkeiten in unsere umwelt hinein.
der donner der blitze erreicht uns und betaeubt fuer einen kurzen moment unsere reflektion auf unser sein. wir waehlen den schatten und den traum, wir wuenschen uns in den todesaehnlichen nichtzustand beziehungsloser beliebigkeit und vergessen die bedeutungen unserer begriffe. wie voegel schwaermen die freigewordenen beziehungsgeflechte weit hinaus ueber den ozean unserer seltsamkeiten, singen ihr lied von werden und vergehen hinaus in die welt aus schein und sein und wir haben sie vergessen, ehe wir wieder erwachen.
allein, es ist ein traum.