Die Krähe, die im Januar

 einen halben Ton höher singt. Jetzt frage ich mich, nachdem ich den Satz neulich auf Umwegen wiederfand, wie die virtuelle Zettelkiste manchmal so einiges unverhofft, was ich damit notieren wollte. Aber es ist eine schöne Idee und nun steht sie erst einmal hier anstatt. Das Weiterwandern einer Flamme von der Zündquelle durch ein brennbares Gemisch nach außen. Anfang des vergangenen Monats: Auf dem Amt gewesen und im Schloss, selben Tags, allerdings in unterschiedlichen Angelegenheiten, am Abend dann noch in einem großen Garten mit Fabelwesen und Gänsemarsch.

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Das Alles ist die reine Wahrheit und nichts wurde dazu erfunden.

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[Gesten]

In letzter Zeit ganz besonderer Augenmerk auf Gesten: Der Busfahrer, der seiner Bekannten an der Fußgängerampel zuwinkt. Bevor der den Wagen schwerfällig um die Ecke fährt, und dann ins Busdepot, wo gebaut wird, eine schöne Mauer durch eine hässliche ersetzt wird. Wohnungen sollen hier sein, so hörte ich, die Entfokussierung des Viertels weiter zu bringen mit Wohnungen für Menschen, die sich in Ihnen, wenn überhaupt, nur am Wochenende aufhalten, sollte nicht einmal wieder eine Deadline die Zähne. Neben dem Discount-Markt in unserer Straße ist dies schon passiert; Und dann hält der Phaeton mit dem Berliner Kennzeichen vor dem Altglascontainer, Frau Manager stöckelt über die Straße und wirft mit angespitzen dreifingrigen Händen, auf einem Bein drei Flaschen in die kugeligen Container. Die Frisur kostet 120 Euro, da kann man dann doch nicht. Lachen mussten wir da, als ich Dir das noch einmal zeigte während wir gingen, und der Wagen fährt im Gangstertempo an uns vorbei.

Anderntags: Das Mädchen mit den schwarzen Leinenschuhen und weißem Rand an der Sohle, die sich, als sie ihre Haare zusammensteckt hoch oben in der Luft, leicht wippend ein wenig vom Fußboden abhebt mit den Fersen, den Rücken streckend damit sie oben anlangt, in der Luft. Da wäre noch so viel.

Bei der Ärztin die Menschen mit den unsicheren Körpern, während ich nachdenke über die Jagd nach den Gespenstern, der Junge mit den ungelenkten Händen die ineinander greifen und sich nicht fassen können, vollständig, das es ihm sicher wäre dabei, begleitet von der Mutter. Und unten vor der Apotheke, wo die Chinesen gerne Fahrräder klauen würden, sehe eine andere, die den Vater bei sich hat, in einem prächtigen Trachtenanzug der jedoch Arme und Beine um so mehr noch schlenkern lässt als wäre an seinem Kopfe eine Stange und er scheuchte die Vögel noch über das Feld mit den Armen und Beinen mit Stroh gestopft, die Krähen und Raben. Die Versehrten mit den Schwimmhäuten zwischen den Fingern (die zur Kralle werden) und des weiteren mehr, die Kafka in seinen Text hineinschrieb, die durch ihre Ungewohntheit selbst schon eine Bedeutung sind. Über sie und die Interpretation des Textes als „Komplex von Gesten“ schrieb Walter Benjamin:

„Eine der bedeutsamsten Funktionen dieses Naturtheaters [von Oklahoma, „Der Verschollene“] ist die Auflösung des Geschehens in das Gestische. Ja man darf weitergehen und sagen, eine ganze Anzahl der kleineren Studien und Geschichten Kafkas treten erst in ihr volles Licht, indem man sie gleichsam als Akte auf das Naturtheater von Oklahoma versetzt. Dann erst wird man mit Sicherheit erkennen, daß Kafkas ganzes Werk einen Kodex von Gesten darstellt, die keineswegs von Hause aus für den Verfasser eine sichere symbolische Bedeutung haben, vielmehr in immer wieder anderen Zusammenhängen und Versuchsanordnungen um eine solche angegangen werden. Das Theater ist der gegebene Ort solcher Versuchsanordnungen.“

Walter Benjamin: Gesammelte Schriften II· I.
Herausgegeben von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Seite 418.

Da haben auch zwei die Verwendung von Gesten bei Raben erforscht, die auch schwarze Vögel sind.

„Sie beobachteten, dass Raben ihre Schnäbel ähnlich wie Hände einsetzen, um Objekte wie zum Beispiel Moos, kleine Steine und Zweige hochzuhalten und einander zu zeigen. Diese Verhaltensweisen waren vorwiegend an Individuen des anderen Geschlechts gerichtet und führten dazu, dass sich die Empfänger des Signals zu den signalisierenden Individuen hin orientierten. Anschließend interagierten die Raben miteinander, zum Beispiel durch Schnäbeln oder gemeinsames Bearbeiten des Objektes.“

Max-Planck-Gesellschaft [Simone Pika & Thomas Bugnyar]:
„Schau Dir das an!“ – Auch Raben verwenden Gesten

Und dann noch: Die große Geste der Stadt, die sie macht wenn ein Zug einen anderen überholt und die Autos unten drunter hindurch. Wenn derjenige auf dem Fahrrad unter der Brücke hindurchfährt und der Verkehr drönt seitlich in seine Ohren und ein S-Bahn von oben und der Lärm ist die Musik, die überall zu hören wäre. Und alles ballt sich zusammen und deutet auf das Herz aus Beton unter der Erde, und die berühmte Filmszene, der Hausdurchbruch und die Dampflock fährt mitten hinein in das Haus und dann an der anderen Seite wieder hinaus, wie die Menschen dann in den Wohnungen sitzen. Und Abends wenn sie alle strömen, aus den U-Bahnen in der Dämmerung in die Straßen hinein, einige warten noch auf den Bus und andere gehen schon so zu Fuß weiter dann. Ist dort das Café, in dem wir uns das letzte mal getroffen haben, die Lichter gehen an hinter den Fenstern der Wohnhäuser und jedes ist ganz für sich. Blickt hinein in das gewohnte, das Leben, zieht dann den Vorhang zu vielleicht.

[Aus dem Notizbuch v. 6.2.2012]

Am Morgen fallen einzelne Schneekristalle aus den Ästen der Bäume herab, blitzen in der Sonne (Lichtfunken). Am Abend dann, auf dem Weg nachhause, die Krähen treffen sich in den Wipfeln zum gemeinsamen Gesang, es sind viele und der Stadtwald gehört ihnen. Kleinere Vögel, die nun schon dicht über dem Boden fliegen, und dass sie nicht einfach erfrieren verwundert mich, sie aber denken ja garnicht daran. Ich muss nun meinen ganzen Mut nehmen und mich konzentrieren, damit ich auf dem Weg nicht selbst erfriere. []

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Während ich auf dem Rad sitze und in den Morgen dampfe, Nebel von mir gebe, ist der innere Alleinunterhalter mit der Morning-Show auf Sendung. Eine Erledigung in einer Schule; Die Düsternis des Sekretariats, in dem das Radio der Heimatsender; Ein Hundskelett schaut traurig aus dem Fenster des Bio-Raums, ganz kalt ist dem im Herbst. Die mutigen Kinder setzen ihm Mützen auf, die traurigen und ängstlichen besucht er Nachts im Traum und schaut sie an mit Knochenaugen. Der Gong zum Pausenende ist verstimmt auf dem letzten Ton, ganz ins Moll hinein eröffnet die dritte Stunde, erinnert an den Westminster-Schlag (überhaupt ein Thema des inneren Monologistikers an diesem Morgen: Königreich Großbritannien und Irland.) Aus den Fenstern scheinen die Ordner der Regale in die morgengraue Straße auf dem Weg ins Zooviertel, hindurch die Annenstraße wo ich wohnte, roter Backstein mit gelben Stitches, die Ellernstraße (Die zweite Straße die ich mit Namen kannte – von Gängen zum Spielplatz im Stadtwald). Kommentar der Synchronstimme wie man dort Arbeiten würde, was das für ein Leben wäre, mit solcher Arbeit als Strukturelement, in einem solchen Büro, es liegt immer alles ein Stück weiter in der Vergangenheit, es ist alles noch nicht ganz so schnell, in meiner Vorstellung. Etwa als die Telefonkarten eingeführt wurden, oder als die Busse noch mit Diesel fuhren und noch nicht mit Erdgas und Düsentrieb. So geht es dann den ganzen lieben langen Tag über, ohne Unterlass, ein Text der sich aus sich selbst hervorbringt; Die Stadt und die Straßen und die Wetter als Muster und ausgelagertes Gedächtnis, aber auch Wunschvorstellung und Projektionsfläche; Als wir gestern durch den Wald nachhause fuhren und die Krähen gerade die kalte Nacht begrüßten;

(Des Vogels) Himmelreich ist sein Himmelreich.
Des Vogels Vogel ist ein Vogel.
Die Taube auf dem Dach
 ist des Menschen Himmelreich.

Auf dem Balkon am morgen die Meisen, im Hinterhof die jungen Drosseln und Amseln, die sich Tagelang um die Wipfel und Sträucher stritten, nun ist es abgemacht. Dagegen die Menschen: Man blickt mich weiterhin misstrauend an, wenn ich ein Foto mache von einer Sache, die mit Kreide auf die Wand geschrieben wurde, denn diese Sache ist ja nichts Wert, ein Rauschen in den Augen nur der Vielen. Gestern einen Japaner gesehen mit Lederjacke und Cowboystiefel, die Welt hätte gleich sich pulverisieren sollen zu grobkörnigem Schwarz/Weiss eines 80er-Jahre-Independent-Films, mit dem Herbstlicht der tiefstehenden Sonne und allem,

Der Tag…

# … fing am Morgen schon mit zwei Sachen an; Auf dem Bildschirm beim Backwarenverkauf im HBF, zwischen all dem Dreck, den Überbrücken der Wartezeit: „Street Spirit“ von Radiohead. Ich bleibe also stehen, die Laugenstange in der Hand, und schaue es mir bis zum Schluss an.

Dann im Bus, am Weissekreuzplatz (Hinterseite Pavillon) sehe ich einen Schwarm Vögel auffliegen, Tauben, Krähen, durcheinander, denke wie schön, dass in der Stadt so viele leben. Dann am Emmichplatz, die Krähen (Es könnten tatsäch die beiden hier sein): Sie ziehen aus einem Müllkorb ein Stück Plastik nach dem anderen, Brötchentüten, so weiter, haben es im Schnabel, hüpfen auf den Boden damit und schütteln es. Eine findet interessant was die andere liegen lässt und nimmt es auch noch einmal auf.

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Das Leben ist ein zähes Wesen. Neulich, als wir auf unserer Bank am Kanal saßen, mein Herz und ich selbst, sah ich das kleine Vogeltier (sie sind schwarz gefiederte Enten mit einer roten Schnäbelung) mit dem verletzten Fuß auf 1½ Beinen auf dem kleinen Wellensteg herumhüpfen. Das hat mich sehr gefreut und uns beide, nach dem langen Winter, denn ein paar Wochen vorher hatte ich ein Video angefertigt durch Zufall, wie das kleine Vogeltier auf dem Eis der gefrorenen Wasserstraße um sein Leben zitterte. Und damals dachte ich, ganz für mich im Stillen, vielleicht schafft es der Vogel ja doch, und vielleicht sogar sehe ich ihn im Frühjahr wieder, das wäre dann doch immerhin etwas, aber daran geglaubt habe ich nicht, es war eine dieser schönen Ideen, die die Hilflosigkeit ertragbar machen in der dunklen Zeit.