Zitronenhühnchen | Oma Hans & Oma Emil | Vietnam

Im Unendlicher Spaß verschmäht der junge Held auf S. 1142 (Zitronenhühnchen mit Kartoffelkroketten), um wichtigeren Dingen nachzukommen: landet dann aber wiederum ganz woanders. Auch in der Mensa gab es heute dieses Essen. Am Abend dann, in der Apotheke, die mit bunten Flickentüchern verschleierte Frau, die ein Medikament bestellt und dazu eine Kennnummer auswendig kann, auch hier Assoziation: N.v.D. — Ganz bunt sind die Lumpen mal gewesen, die sie trägt, vermute hier ein bewusstes Verhängnis des eigenen Gesichts, dass nicht zu tun haben muss mit einer Religion, die es erforderlich machen würde. Andere Religionen beispielsweise verlangen das tragen von Perücken. In manchen Ausprägungen. In der Bahn: Die Frau, die mit spitzen Fingern die Längsfäden am Loch in ihrer Jeans ordnet. Immer wieder zupft es und zupft wieder daran herum. Sie hat ganz glatte Haare, ganzb glatter Schnitt am Rand, ist ganz dünn. Die Studentin, die auf Ihrem Handy über abfotografierte wissenschaftliche Texte wischt, es geht ganz schnell, blättert sie 10, 20 Bilder vor bis sie die Seite gefunden hat; Mit spitzen Fingern zieht sie dann den Text auf: Pattern recognition. Der (doch wohl rote?) Luftballon von Oma Emil ist mir noch garnicht aufgefallen. Die beiden Herren (nicht im Bild zu sehen) unterhalten sich derweil über die Häuser drumherum.

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Fahre ich mit Oma Hans und K. Getränke kaufen, K. fährt und Oma Hans singt vom kalten Mammut, dass es eine Freude ist. Die Fenster des Passat lassen sich per Hand runterkurbeln und er ist auch sonst genau so, wie ein Auto sein sollte — Draußen sind es 30° und drinnen sicherlich noch mehr, während all die Fahrten in klimaanlagenlosen Autos in diesen wenigen Augenblicken kondensieren, am Tag der Feier zum 40. (es war der 19.7., genau zu sein). Kann ich hier einen Punkt machen?

Am Sonntag darauf ist es ein heißer und schwüler Tag mit Regen in der Luft gehängt, wir fahren dorthin und räumen drei Dinge auf, dann gehen wir in’s Street Kitchen auf der Limmer. Die Luft (und so weiter, Essen, insbesondere auch der weiße Ventilator auf dem Tresen, neben dem bunten Kassenbildschirm, ein weltweit verkauftes Modell) konstuieren aus Instant-Kristallen ein Bild von Vietnam, überbrücken für wenige Augenblicke die 10.000 Km zw. hier und ebd. Ein Fernseher zeigt ein Musikvideo mit Pixelstörungen.

(Die theoretische Erreichbarkeit Vietnams mit dem Fahrrad)
(Muss ich jetzt an „Saigon Stories“ denken)

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Als wir neulich, nach einer langen Pause, wieder im Schwimmbad waren und ich in Wasser, Chlor und gleißendem Sonnenlicht schwamm, daran erinnern, wie wir hier das erste mal waren und es schneite draußen und war dunkel, vom Schwimmbecken konnte man die wirbelnden Schneeflocken und gelben Straßenlaternen sehen.

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Das Buch ist inzwischen auch abgeschlossen. Das jedenfalls war der Sommer in der Stadt, in das Fass mit Herbst gefallen inzwischen auf dem oben die Blätte liegen und abgesoffen, das Wasser ein wenig merkwürdig riecht. Gänsewein. Was für ein Ende und was für ein furioses Werk, dieser unendliche Spaß und wie schade. Aus purem Egoismus: wie schade! Das Telefon zeigt mir an ich soll Ohrstöpsel kaufen. Kann ich einfach noch einmal von Vorne?

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Jetzt auf Seite 582

heute morgen gewesen in der U-Bahn (genaugenommen: eben die Zahl von 462 auf die aktuelle geändert, weil mein Schreiben hier das Wassertragen mit bloßen Händen ist). Die Verschachtelung der Körper nimmt langsam Formen an (womit ich um des Himmels dem Buch keinen Kubismus nachsagen möchte, dass können Andere dann meinetwegen zum wiederholten Mal). Auch die Fährte mit dem Joyce’schen Ulysses erweist sich als Kuh auf dünnem Glatteis. Möglicherweise, wo auch heute gerade noch die Medusa im Spiegel im Spiegel (!) auftrat, an anderen Stellen auch Verweise zu finden sind, ist ein Herumgestocher in der griechischen Mythologie vielversprechend, könnte sich aber als anstrengend erweisen. Es ist zwar immerzu bzw. immer wieder von Syracuse (New York) die Rede und auch von Ithaca (New York).

Es gibt eine Seinfeld-Folge, in der Jerry ein Gastspiel in Ithaca (New York) hat, welches ziemlich in die Binsen geht. Infolgedessen muss er auf Irrwegen mit einem Mietwagen Nachhause zurückfahren, strandet mitten in der Walachhei (der Umgangssprachlichen, nicht der in Rumänien) in einem Swiming Pool und gelangt nur unter Überwindung vieler Hindernisse zurück nach New York (New York), wo seine Freundin in der Flughafen-Lounge auf ihn wartet. Ob sie zum Zeitvertreib ein Leichentuch gewoben hat, wird in der Folge nicht erwähnt: „Dass David Foster Wallace nicht mehr lebt, kann ich immer noch nicht fassen. Seine Texte, seine Art zu schreiben mochte ich wirklich sehr [nun gut, das Kreuzfahrtbuch vielleicht nicht ganz so sehr. Und die Fußnote als Stilmittel konnte einem manchmal schon auch auf die Nerven gehen. Aber trotzdem]“. Auch in Unendlicher Spaß sind die Fußnoten weit ausgebreitet und enthalten tatsächlich wichtige Schlüsselszenen. Zumindest Hinweise auf.

Dann die Körperlichkeit, die der Text sich aneignet, bis hin zur Deformation des großen Körpers der amerikanischen Nation (bei gleichzeitiger Aufblähung):

Die Stadt mit dem Kopf aus dem die Antenne ragt, über welche die Einflüsterungen der nächtlichen Kult-Radiosendung überertragen werden, mit der als eine Lunge beschriebenen Tennis-Court-Überdachung, mit dem unterirdischen Labyrinth von Gängen zwischen den Tennisanlagen und der Lunge, mit dem allerersten Satz, der gleich Körper sagt, mit dem (auch innerhalb des erzählten Zeit stark abgesetzten) eingeschobenen Monolog des Vaters, 1960 v. SZ., der den Körper des Sohnes zu manipulieren versucht. Mit all dem. Mit den explodierenden und missgestalteten und totgeborenen Körpern. Das ist tatsächlich bisweilen harte Kost. Das ist immer ein Grund, gleich noch die nächste Seite aufzuschlagen.  Alles ist verstiegen und verdreht, gleichzeitig erscheint es aber alltäglich und normal. Das abgespaltene Paralleluniversum. Dies ist der dritte Freitag an diesem Text. Im nichteuklidschen System offenbaren sich die Personen merkwürdig erstarrt gekrümmt oder deformiert. Konvex und konkav sind sowohl Landschaften als auch ein äußerer Bereich des Großhirns. Namen und Bezeichnungen treiben ein mehrfach hierarchisches Spiel von Referenz und Bedeutung und die Analyse als Methode versagt: Man kann auch versuchen, eine Textmauer darum herum zu errichten, wenn sich das Ding nun einmal der Festlegung entzieht. Das ist allgemeine literaturwissenschaftliche Praxis, das Wesen, das Gespenst in einen Käfig zu sperren, das Forschungsgebiet abzugrenzen. Damit es bewältigt und ggf. überweltigt werden kann, vermessen, etikettiert und dann taxidermiert zum glücklichen Ende.

Jetzt auf Seite 630. Und ich lese nur am Morgen und am Abend in der Bahn, während die anderen zumeist auf ihren Devices touchen und wenn Du schon schläfst und ich die Seinfeld-Folge noch einmal auf Anfang stelle, damit Du vom Seiten-Umblättern nicht aufwachst.

//Der Großteil der Handlung spielt im Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche//

Dieses Buch von Foster Wallace zu lesen begonnen, auf der Zugfahrt an die Nordsee, immer abwechselnd mit LTB 441 „Der einsame Wächter“. Jetzt ca. auf Seite 80, Lustiges Taschenbuch ist ausgelesen allerdings. Heute morgen die fiktive Filmographie durchgelesen, enthalten in den ca. 50 Seiten Anmerkungen am Ende des Buches.

Hier ein paar Links die vielleicht. Auch hier. Jetzt gleich den Bus nehmen zum Stadtrand.