Wie es wäre, einfach wieder alles ins Blog zu schreiben anstatt in die Timelines im Nirgendwo,

fragte ich mich. Auf dem Heimweg mit der U-Bahn gestern am Abend, zurück vom Stadtrand, wo wir im Garten saßen, auf einem Plakat in der Station Hauptbahnhof gesehen, dass Mirko Bonné, von dem ich immer die Gedichte im Goldenen Fisch lese, etwa morgens im Bus auf dem Handy, für eine Lesung in der Stadt gewesen ist, am 31.

Das also auch erfolgreich verpasst, seisdrum.

Innenohr

 

An der Röhre seines orangenen Bernstein-Monitors hatte er unten in der linken Ecke per Hand ein paar Pixel ausgeschaltet, Dort stand nun sein Name, eingemeißelt in das dunkle Glas, in Vakuum geschnitten. DEDROID. Das war er. Das war seine Versicherung, immer er selbst zu bleiben, auch wenn all die anderen es nicht sehen konnten. Er hatte ein kleines Programm geschrieben, das den Monitor mit Kästchen füllte wenn er eine halbe Stunde keine Taste drückte. Sie erschienen wie zufällig auf dem Bildschirm, wie die Fenster eines Hauses zu leuchten beginnen am Abend, still jedes für sich dem Rhythmus der Stadt folgend. Dann war das ganze Zimmer gefüllt mit dem Bernsteinschimmer der Mattscheibe und links unten in der Ecke, da wo sonst nie etwas stand, sein Name. Der ihn beschirmte, in der Nacht, der verbernsteinerten. Kupfer und Gold.

Verbunden: über metallene Wege mit der Welt da draußen, die ihn ängstigte, ihn verstörte, ihn zusammen Zucken ließ bevor er einschlief am Abend, im schimmernden Licht. Zusammenfallen, vor dem Einschlafen in der Nacht, dann. Dieser Sekundenschlag in dem die Welt verschwindet hinter dem Vorhang der Augenlieder, das kurze Aufbäumen des Selbst: das Bedürfen: Zu wissen, was hinter dem Glas geschieht, im luftleeren Raum: in dem sein Name stand: Die schwarze Materie, gespiegelt auf der glatten Oberfläche, hinter der die Lichter angehen, eines nach dem anderen. Er saß manchmal davor und versuchte zu erraten welches das nächste wäre, vergaß dann zu Essen, vergaß sich zu erinnern. Welches das nächste war.

Dort saß er, und vor ihm die Zeichen und über ihm sang der glühende Draht im Vakuum ein Lied von seinem nahen Ende. Das Sirren der kochenden Elektronen, die sich aneinander rieben, der Herzschlag der Materie. Das alles in diesen Mauern, das Lied aus der Leitung über den Feldern, dieses eine immerdauernde Lied, und er hörte dem zu, er hörte die Stimme, die kam drüben aus dem großen Fluss, wo sie das Wasser gestaut hatten, das ließ die Lichter angehen, die aus Bernstein, hier bei ihm im stillen Zimmer schwang das Getöse der Turbinen mit in dem kleinen Faden aus Metall, der sich bog unter der Last, das pulsierende Kupfer, der singende Draht. Das Getöse der Turbinen hier im entweichenden Vakuum.

Dann kam ein Gereusch. Dann riss der Faden ab, und Dunkel war. Die Uhr tickte, draußen fuhr ein Auto vorbei. Katzenaugen. Die Heizung, rauscht, ein gleichmäßiges Ausatmen. Dort geht eine Spülung, dort schreit ein Kind, dort prasselt fettiger Regen in der Pfanne. Von der Kneipe an der Ecke wird ein verschossener Elfmeter verkündet, während ein Hubschrauber, sanft brummend wie eine Hummel im Sommerwind, ein tiefgekühltes Herz durch den blauen Himmel fliegt. Dort ist einer gestorben, dort wird einer weiterleben. Ein zufriedenes Surren liegt über der Bucht. Das schnappen eines Feuerzeugs leuchtet kurz auf, dann der Geruch von Rauch vom Balkon dort oben, dieser rostige Duft von Feuerstein – dann der Atem der Balken, das tote Holz das knistert und knackt in den Mauern um ihn herum. Der Geruch knirschender Straßenbahnschienen. Das knistert und knackt, der Glühdraht ist jetzt ganz still, ganz leise klingelt er wenn man die Lampe bewegt, der Seismograph, die Nadel die immer nach Norden zeigt, mal mehr und mal weniger. In der Schwärze des Zimmers gehen bernsteinerne Lichter an erleuchtet vom großen Strom, vibrierende Elektronen in den Überlandleitungen durchs Indianerland. Eine Uhr tickt hier, eine andere dort, in der anderen Küche, über der seinen. Der alte Regulator schräg unten schlägt Big Ben, genauso träge und schief, schlurfend wie ein alter Butler. Die Holzwürmer, wie sie arbeiten, sie arbeiten am Niedergang des Hauses.

Er hatte begonnen Stimmen zu hören, ganz bewusst hatte er das für sich angenommen. Sie flüsterten nicht zu ihm, sie sprachen nicht mit ihm, und sie nannten ihn nicht bei seinem Namen. Ihr reden hatte keine Worte und keinen Sinn. Sie waren nur dort und er hörte ihnen zu, er gehörte ihnen zu und fühlte sich geborgen im Wispern der Dinge. Auch die Laute aus den umliegenden Wohnungen wurden gleichbedeutend mit dem Rauschen der Leitungen, dem sich ausdehnenden Holz. All die Liebesschreie und die Fernseher, das Fußballspielen und schlechte Träumen der Kinder meinte dasselbe für ihn wie der Regen auf dem Dach.

Irgendwann in diesen Tagen hatte er das erste Mikrophon aufgehängt, bald wurde jede Wand zum Ohr. Die kleinen Lautsprecher aus den Computern oder aus Radioweckern, die man auch als Empfänger nutzen konnte, Ohrhörer, Dictaphone und Mikrophone, an den Wänden, aufgeklebt mit Gaffertape, seine Wohnung ein Ohr und er selbst der Hörnerv, das Trommelfell das die Vibrationen der Welt aufnimmt. Sie hingen alle zusammen, er selbst wusste nicht wie, nur wenn in diesem Klangkörper etwas ausfiel, wenn die Drähte morsch wurden, dann wusste er wo. Die Fenster waren zugehängt, die Lampen erloschen, und oft hatte er eine schwarze Binde vor den Augen, um besser hören zu können, dem Haus zuhören zu können und seinem Leben, der Straße davor und dahinter und dem Himmel darüber dem blauen. Bilder gab es hier nicht mehr, blind bewegte er sich durch die Dunkelkammern, seinem eigenen Herzschlag folgend. Flimmernd.

Seine Fingerkuppen fingen an zu hören wie die der Tresorknacker, die ja am Drehknopf mit dem leise vibrierenden Stahl verschmolzen, gleichsam mit Sandpapier geglättet – fast abdruckslos. Seine Zehen erspürten noch die U-Bahn, drei Blocks weiter, sie wurde zur Uhr seiner Tage. Die Welt war nur noch Klang: Er musste den Regenschirm aufspannen wenn das Telefon schellte. Er lebt jetzt vollkommen ohne Licht. Nur die Bernsteinfenster auf dem Monitor, die bleiben. Die ganze Wohnung ein tönendes Universum, mit den Kopfhörern, den drahtlosen, die beständig übermitteln was von den Wänden hereinsickert in das ich, hereinsickert in die Fugen zwischen hier und jetzt.

Als wäre nichts gewesen

Im letzten Jahr habe ich Texte aus diesem Blog hier mehr oder weniger öffentlich vorgelesen. Bei der Recherche dazu immer weiter zurückgegangen in den Jahren, denn es gibt wenig, das mir geeignet zu diesem Zweck schien. Vieles ist für das Netz geschrieben, an der Grenze zum Unsichtbaren, besteht, weil es einen Rückverweis gibt, ist als Bestandteil des Streams mehr als nur der einzelne Text, als einzelner Text vielleicht nicht von Bedeutung. Ich hatte mich dann mit mir auf eine Auswahl geeinigt.

Auch bin ich weiterhin, Stück für Stück, dabei, die verlorenen Bilder zu rekonstruieren, die an vielen Beiträgen fehlen. Dabei findet sich vieles vergessenes wieder und vieles auch, das ich heute vielleicht nicht mehr ins Netz schreiben würde. Weil sich das geändert hat, was hier vorkommt, weil meine Ansprüche an das eigene Schreiben jetzt andere sind. Beim Zurückblättern jedenfalls, und das mache ich jetzt mit System, ist dort häufig eine große Fremdheit, ist die Frage, wer das eigentlich gewesen ist, der hier diese ganzen Texte geschrieben hat. Ich war es nicht.

 

Im Impressum steht ja seit einigen Jahren bereits – es stand dort nicht immer so – „die Texte auf dieser Seite sind fiktional“, denn hier schreibt jemand, der ich bin und den ich mir aber ausgedacht habe, auch weil es so eine Sache ist mit dem Erinnern. Eine Zeit lang war ich der Annahme, mit diesem ausgedachten Menschen identisch zu sein und in der Zeit muss es also auch so gewesen sein. Hier aber schrieben in der Vergangenheit immer schon verschiedene Versionen dieses Ausgedachten, die jetzt allesamt verschwunden sind, sich in der Zeit zwischen den Zeilen aufgelöst haben als wäre nichts gewesen. Ich erinnere mich an eine große Wut, die in vielen Texten sichtbar wurde und sich nicht mehr zu verstecken brauchte. Die jetzt keine eindeutige Richtung mehr hat, weil ihre Ursachen komplexer sind als gedacht. Die sich jetzt aber also auf eine Wellenlänge jenseits des für Menschen sichtbaren Lichts verlagert hat und subtilere Kristalationsformen findet. Häufig ist sie aber auch einem stoischen Beharren auf der eigenen Kauzigkeit gewichen, wenn man so als Eule getarnt durch die Tage geht, um die Vögel leichter beobachten zu können und Schiffnamen ins Logbuch zu notieren, auf dem Weg zur Arbeit.

Heute sind es 20 Jahre, seitdem der erste Eintrag veröffentlicht wurde. Es war ein Ostersamstag im März 2002.

Lesung „Es gibt kein abstraktes Schweigen“ | 15. Oktober (mit Nils Schumacher und mir)

 

Alle 15 Jahre ungefähr wage ich es und lese in der Öffentlichkeit. Jetzt bald in einem Atelier in einem Lindener Hinterhof.

Die beiden Autoren Fabian Kösters und Nils Schumacher beschäftigen sich auf unterschiedliche Weise mit dem Schreiben an der Grenze zum Unsichtbaren. Kösters versucht seit 20 Jahren in seinem Blog coderwelsh.de mit seinen Alltagsbeobachtungen das Internet voll zu schreiben und hat es auch bald geschafft. Schumacher dagegen wird seinen neuen Gedichtband „Blinklichter“ vorstellen, in dem er nach wie vor der Gegenwart auf der Spur ist, die ihm aber im Strudel der Zeit stets entwischt. Kurzum: für Unterhaltung ist gesorgt.

Das komplette Programm gibt es hier:
www.wortlaut-hannover.com

Jetzt der traurige Regen

Auf Umwegen zur Arbeit und am Abend zurück. Aus dem Busfenster schauen, die Gegend interessant aber vollkommen hoffnungslos. An einem Laternenpfahl hängt ein Plakat auf dem wird ein vermisster Hund oder eine Katze gesucht, die Fenster sind beschlagen. Verloren gehen Kinder durch den nassen Schnee, in der Schule vielleicht war eine Faschingsfeier mit Abstand. Schöne Namen der Straßen wie Luise-Blume-Straße, Tempelhofweg

Erzählt eine Frau im Pelzmantel einer anderen alles mögliche auf Russisch. Die Kaserne ist in großen Teilen abgerissen, da wird jetzt etwas anderes gebaut. Erinnerung wie ich hier falsch hingefahren bin, den Musterungsbefehl in der Jackentasche, die Wache gefragt habe, die erzählte ich müsste ganz woanders sein, fest davon überzeugt, die Musterung findet in der Kaserne statt und dies war die Kaserne, die ich kannte. Die hätten viel zu tun gehabt mit mir in der Armee

„Was habt ihr mit dem Feuerlöscher!“ der Bahnfahrer öffnet die Tür zum Abteil und die Jungen versuchen noch was „Was mit dem Feuerlöscher ist!“ sagt er jetzt da sind sie raus aus dem Wagen, dann pafft er seinen Dampf aus der zum Bahnsteig geöffneten Kabinentür. Zehlendorfweg, Vahrenheider Markt

Auf dem Marktplatz

Auf dem Marktplatz, da bei dem Kiosk- und Toilettenhäuschen, sitzt einer, vom Nieselregen geschützt, und spielt Gitarre. Hallelujah — kein Weihnachtslied. Alle stehen beim Fischstand an. Später in die Nordstadt, auf dem Fahrrad. Vorbei an einer der letzten Fabriken in der Innenstadt, weißer Dampf steigt über einem der Gebäude auf, wie eine improvisierte Wolke, es riecht nach Gummi. Die Straße weiter, um die Ecke, all die Dönerläden, der schöne Niesel, weiterhin.

Es läuft auf Nudeln hinaus.

Es läuft auf Nudeln hinaus. Nach einem Kalender schauen, im großen Supermarkt.
Wenn die Weihenstefan-Werbung einen anschreit, dagegen schreien, egal,
noch ein Verrückter, der zwischen den Süßwaren halblaut „Halt die Schnauze“ ruft.
Eine Fahrradklingel gekauft, belgisches Bier und Erkältungsbalsam.
Eine Zeile aus einem Lied, die im Kopf herumgeht seit Tagen nun

Eine einzelne Gans im Morgenhimmel. Luft anhalten, sich umarmen.
Das Rad macht nicht mehr diese Geräusche, das ist gut.

[22.9.] Lese die Notizbücher eines Bekannten,

die ein Verlag sich bereiterklärt hat abzudrucken. Die Gefahr, mich darin wiederzufinden, besteht kaum, denn so oft sehen und sahen wir uns nicht und kennen uns also auch nicht wirklich. Ich hatte ihn einmal für eine Radiosendung interviewt und das ist bestimmt mehr als 15 Jahre her. Das dürfte eines der längsten Gespräche gewesen sein, die wir geführt haben. Nun lese ich also in den Notizbüchern eines letztenendes doch recht fremden Menschen, sehr literarische Fragmente durch die Zeit und auf der Strecke zwischen den Orten. Manchmal auch aufgeschriebene Todesdaten von Menschen, bei denen ich nur einen Namen kenne und wieder bemerke, wie wenig ich doch gelesen habe bisher oder vielleicht auch nur wenig aus dem Indie-Kanon der in den 70er Jahren d. l. Jh. Geborenen. Dafür mehr Lustiges Taschenbuch. Die Inspiration, die sich, während ich während einer Zugfahrt auch darin las, aber auch selbst die endlich einmal wieder etwas umfangreicheren Reisenotizen vervollständigte, ergab, führt nun hoffentlich dazu, selber einmal mit der Abschrift sämtlicher Notizbücher zu beginnen, ich habe keine Ahnung, wie viele sich über die Jahre angesammelt haben, aber sie befinden sich immerhin — mehr oder weniger — alle an einem Ort und sind schnell gefunden. Veröffentlichen werde ich sie aber nicht, vielleicht hier und/oder da einen kurzen Text nur.

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Ich hatte den EIndruck, dass Situationen und Augenblicke aufgeschrieben werden, die ohne das Ich auskommen, als ich aber dann weiterlas, mit diesem Gedanken im Kopf, bemerkt, das tatsächlich oft ein Ich gesagt ist. Es sind aber Texte zwischen dem noch persönlichen und dem schon ausgedacht gewordenen, in einem Zustand dazwischen.

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[14.10.] Auf der Seite 112 dann eine bekannte Adresse, zumindest der Name der Straße, in der eine gemeinsame Freundin(?) lebt, die sich zumindest bei mir aber auch nicht meldet, daher das Fragezeichen(?), vielleicht müsste ich dazu auch erst ein  Buch schreiben. Vor sechs Tagen hatte sie Geburtstag, ich habe daran gedacht und nicht gratuliert. Weil es nicht einzusehen ist, dass immer nur ich mir Geburtstage merke. Heute aber mit einer Textnachricht jemandem dann doch alles Gute gewünscht, den ich nun bestimmt auch sehr sehr lange weder gesehen noch gesprochen habe.

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Berlin hat viele meiner Freunde verschwinden lassen mit einem Taschenspielertrick.