Prinzessin Shiitake

Jetzt lernen die kleinen Meisen fliegen, seit Sonntag schon sind sie unterwegs, hüpfen von Wipfel zu Wipfel, immer dorthin wo gerufen wird. In der clorophilen Morgenluft: Wenn der Wald noch ganz den Läufern gehört und den Menschen, die das Glück haben (so wie unsereiner Name sei Hase), mit dem Rad hindurchfahren zu können auf dem Weg zur Arbeit.

Beim Bäcker die Schlagzeile „Jeder zweite Rentner bekommt weniger als Hartz IV [700 Euro]“. Ganz abgesehen von der mehrfachen Unrichtigkeit dieser Aussage lässt sich hieran bereits im Juni gut erkennen, in welcher Richtung sich die Bürgerlichen im Wahlkampf ausrichten werden. Da hat die Kampagne schon begonnen. NDR2 verkündet derweil den //Diversity Day//, womit das Musikprogramm nicht gemeint sein kann jedenfalls. Am Morgen bereits zwei kleine Italiener aus Hamburg gehört, auf dem anderen Sender, die erzählen das sie wegen ihrer Doppelkultur ja was besonderes zu bieten hätten auf dem Arbeitsmarkt. //Competition-Day// also eher. Bezahle ich mein französisch-amerikanisches Systemfrühstück (Croissant & Donut) und trolle mich davon.

Prinzessin Shiitake derweil, in Abwesenheit des Königs a.a.O., sitzt sie auf ihrem Thron, einer feinen Laubsägearbeit, und regiert das Reich wie von Zauberhand, sich das buntschillernde Gefieder zupfend.

Die Frau, mir gegenüber in der U-Bahn,

  vor ein paar Tagen: Die ein wenig Spucke auf ein Tempo-Taschentuch gibt, um damit dann ihr Smartphone zu putzen. Sie wiederholt diesen Vorgang, mehrfach, ganz bei der Sache. „Das erzählst Du mir, Du windiger Lumpenhund!?! Sie bloß zu das Du Land gewinnst!!“ krakeelt der Mann (schöne Säuferkrawallpoesie), der sich vor dem Hauseingang auf der Gartenmauer, neben dem Weg zum etwas weiter hinten im Grundstück stehenden Haus, niedergelassen hat, vor sich wohl auch eine Bierflasche stehend, einem anderen nach, der nur ein paar Meter entfernt steht, wohl einer der Mieter des Genossenschaftshauses. Da bin ich auch schon vorbeigefahren.

jasmin

heute roch diese stadt nach jasmin, am morgen, oder einer ganz ähnlichen blume jedenfalls. das fahrrad fährt den berg hinauf und hinab am abend, der kein berg ist, aber merkbar. in der pause eine tonaufname von vögeln gemacht und dann von fröschen, die in einer überfluteten wiese in der leinemasch saßen. es ist schön dort gewesen, während auf der arbeit worte die erfunden sind und der baum weiter wächst aus dem dach der gummifabrik die noch nicht postindustrie doch kurz davor und ein großer teil des hauses ist ja bereits rechenzentrum usw., fahr ich an der alten schule vorbei, fahr ich den ganzen maschsee hinunter am morgen, fährt sich nicht von selbst die kilometer entlang, zwischen hier und dort. der geschnittenen rasen das hemd in dern ärmeln die enten auf dem see. die jetzt schon wieder ganz vergessenen worte, all das was fern ist und fern bleiben wird, jetzt für immer. in den büchern nur steht etwas über das wahre leben, die möglichkeit besteht immerhin, auch in den augen blicken dazwischen.

Freigeschrieben

Gestern am späten Nachmittag dann freigeschrieben, was noch nachzutragen gewesen ist, zum Reisetagebuch. Es war etwas, was erledigt werden musste, bevor ich hier wieder alltägliches in ein leeres weißes hineinschreiben kann. Da ich dieses mal sehr undiszipliniert war, was die abendlichen Aufzeichnungen in das Notitbuch anbetrifft, mussten noch 12 Seiten hinterdran geschrieben werden. Handschriftlich, weil dies die Reihenfolge bei dieser Art von Text ist, der zunächst zusammengeschrieben wird wie der Finger gerade wächst, um dann, wenn alles möglichst fest gehalten wurde in einer Chronologie, daraus einen anderen Text zu machen, der nicht größer ist, nicht besser als das, was schon dort steht, aber bereits einen Schritt weiter noch zurückgetreten ist hinter den vergangenen Erlebnissen und sie vielleicht auch in einen noch größeren Zusammenhang setzen kann. Aber was ist schon größer als die Welt.

Und wie schnell alles verschwindet, wie schnell. Saß ich dann hier und habe anhand der nun einmal in Reihenfolge aus der Maschine kommenden Fotografien die Tage wieder zusammengesetzt, in einen Modus geratend, der die Erinnerung am Laufen hält und in dem sich die Bruchstücke rekonstruierend wieder zusammenfügen. Zwischendurch dann mit dem Landkartendienst und den Straßenbildern Buslinien recherchiert, die en passant gefahren worden sind, weil sie zum Strand oder in Richtung des Hotels führten, das ist überhaupt auch mit das Beste, in einer anderen Stadt im Bus zu fahren, noch einmal Straßenläufte angesehen, so begann hier bereits die zweite Reise, mit dem Finger auf der Landkarte, einmal dort entlangzulaufen, einmal mit dieser Linie zu fahren. Und die Traurigkeit und das Staunen darüber, wie unwirklich die entfernten Orte so schnell wieder werden, wie schwer es ist, sich ihre Existenz vorzustellen zum jetztigen Zeitpunkt: Das jetzt in diesem Moment Menschen dort sitzen sollen, wo wir saßen, und den Weg am Meer entlanggehen und in dieser Bar sitzen oder auch nur, das genügt ja schon, im Supermarkt an der Ecke eine Flasche Wasser kaufen und fünf abgepackte Donuts. Das ist unglaublich.

Es muss ja aber doch so sein.